Mensch gebend halten oder empfangend tra¬ gen kann.
Armes Mädchen! Dein letzter August ist sehr hart und kein Erntemonatstag! -- Du siehst in die Zeit hinaus, wo Dein kleiner Sarg steht, an welchem ein grausamer Engel die schönen, um ihn herumlaufenden, noch frischen Blumenstücke der Liebe wegwischt, damit er ganz weiß, so rosenweiß wie Deine Seele oder Deine letzte Gestalt herübergetragen werde' --
Dieses Vertreiben von der Mutter in die Einöde ihres Klosterzimmers war ihr eben so fürchterlich, nur nicht fürchterlicher als das Zürnen derselben, das sie heute erst zum drit¬ tenmal erlebte obwohl nicht verdiente. Es war ihr als wenn nun nach der warmen Son¬ ne, auch noch gar das helle Abendroth unter den Horizont gesunken wäre und es wurde dunkel und kalt in der Welt. Sie blieb diesen ganzen, noch eingeräumten Tag bei der Mut¬ ter; gab aber nur Antworten, blickte freundlich an, that Alles gern und behend und hatte -- da sie jeden zusamenrinnenden Thautropfen schnell mit dem Zwergfinger aus den Augen¬
Titan III. I
Menſch gebend halten oder empfangend tra¬ gen kann.
Armes Mädchen! Dein letzter Auguſt iſt ſehr hart und kein Erntemonatstag! — Du ſiehſt in die Zeit hinaus, wo Dein kleiner Sarg ſteht, an welchem ein grauſamer Engel die ſchönen, um ihn herumlaufenden, noch friſchen Blumenſtücke der Liebe wegwiſcht, damit er ganz weiß, ſo roſenweiß wie Deine Seele oder Deine letzte Geſtalt herübergetragen werde' —
Dieſes Vertreiben von der Mutter in die Einöde ihres Kloſterzimmers war ihr eben ſo fürchterlich, nur nicht fürchterlicher als das Zürnen derſelben, das ſie heute erſt zum drit¬ tenmal erlebte obwohl nicht verdiente. Es war ihr als wenn nun nach der warmen Son¬ ne, auch noch gar das helle Abendroth unter den Horizont geſunken wäre und es wurde dunkel und kalt in der Welt. Sie blieb dieſen ganzen, noch eingeräumten Tag bei der Mut¬ ter; gab aber nur Antworten, blickte freundlich an, that Alles gern und behend und hatte — da ſie jeden zuſamenrinnenden Thautropfen ſchnell mit dem Zwergfinger aus den Augen¬
Titan III. I
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Menſch gebend halten oder empfangend tra¬
gen kann.
Armes Mädchen! Dein letzter Auguſt iſt
ſehr hart und kein Erntemonatstag! — Du
ſiehſt in die Zeit hinaus, wo Dein kleiner Sarg
ſteht, an welchem ein grauſamer Engel die
ſchönen, um ihn herumlaufenden, noch friſchen
Blumenſtücke der Liebe wegwiſcht, damit er
ganz weiß, ſo roſenweiß wie Deine Seele oder
Deine letzte Geſtalt herübergetragen werde' —
Dieſes Vertreiben von der Mutter in die
Einöde ihres Kloſterzimmers war ihr eben ſo
fürchterlich, nur nicht fürchterlicher als das
Zürnen derſelben, das ſie heute erſt zum drit¬
tenmal erlebte obwohl nicht verdiente. Es
war ihr als wenn nun nach der warmen Son¬
ne, auch noch gar das helle Abendroth unter
den Horizont geſunken wäre und es wurde
dunkel und kalt in der Welt. Sie blieb dieſen
ganzen, noch eingeräumten Tag bei der Mut¬
ter; gab aber nur Antworten, blickte freundlich
an, that Alles gern und behend und hatte —
da ſie jeden zuſamenrinnenden Thautropfen
ſchnell mit dem Zwergfinger aus den Augen¬
Titan III. I
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/141>, abgerufen am 25.11.2024.
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