Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Kaum war sie mit dem Morgengruß von
den Lippen der Mutter weg, so suchte diese,
aber ernster als gestern, die Wurzeln dieses
festen Herzens aus seinem fremden Boden zu
rücken durch den längern Gebrauch der gestri¬
gen Blumenheber. Sie wurde in der verglei¬
chenden Anatomie zwischen Albano und Ro¬
quairol von der gleichen Stimme an bis zur
ähnlichen Taille immer schneidender, bis Liane
mit dem Mädchenwitz auf einmal fragte:
"aber warum darf denn mein Bruder Rabet¬
"ten lieben?" -- "quelle comparaison! (sagte die
"Mutter) Bist Du nichts Bessers als Sie?" --
"Sie thut eigentlich viel mehr als ich" sagte sie
ganz aufrichtig. -- "Strittest Du nie mit dem
wilden Zesara?" fragte die Mutter. -- "Nie,
ausser wenn ich Unrecht hatte," sagte sie un¬
schuldig.

Erschrocken nahm die Mutter immer heller
wahr, daß sie tiefere und stärkere Wurzeln als
leichte Blumen schlagen auszuziehen habe; sie
sammlete alle ihre mütterlichen Anziehungskräfte
und Hebemaschinen auf Einen Punkt zum
Sturze der stillen, grünen Myrthe; sie entdeckte

Kaum war ſie mit dem Morgengruß von
den Lippen der Mutter weg, ſo ſuchte dieſe,
aber ernſter als geſtern, die Wurzeln dieſes
feſten Herzens aus ſeinem fremden Boden zu
rücken durch den längern Gebrauch der geſtri¬
gen Blumenheber. Sie wurde in der verglei¬
chenden Anatomie zwiſchen Albano und Ro¬
quairol von der gleichen Stimme an bis zur
ähnlichen Taille immer ſchneidender, bis Liane
mit dem Mädchenwitz auf einmal fragte:
„aber warum darf denn mein Bruder Rabet¬
„ten lieben?“ — „quelle comparaison! (ſagte die
„Mutter) Biſt Du nichts Beſſers als Sie?“ —
„Sie thut eigentlich viel mehr als ich“ ſagte ſie
ganz aufrichtig. — „Stritteſt Du nie mit dem
wilden Zeſara?“ fragte die Mutter. — „Nie,
auſſer wenn ich Unrecht hatte,“ ſagte ſie un¬
ſchuldig.

Erſchrocken nahm die Mutter immer heller
wahr, daß ſie tiefere und ſtärkere Wurzeln als
leichte Blumen ſchlagen auszuziehen habe; ſie
ſammlete alle ihre mütterlichen Anziehungskräfte
und Hebemaſchinen auf Einen Punkt zum
Sturze der ſtillen, grünen Myrthe; ſie entdeckte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0133" n="121"/>
          <p>Kaum war &#x017F;ie mit dem Morgengruß von<lb/>
den Lippen der Mutter weg, &#x017F;o &#x017F;uchte die&#x017F;e,<lb/>
aber ern&#x017F;ter als ge&#x017F;tern, die Wurzeln die&#x017F;es<lb/>
fe&#x017F;ten Herzens aus &#x017F;einem fremden Boden zu<lb/>
rücken durch den längern Gebrauch der ge&#x017F;tri¬<lb/>
gen Blumenheber. Sie wurde in der verglei¬<lb/>
chenden Anatomie zwi&#x017F;chen Albano und Ro¬<lb/>
quairol von der gleichen Stimme an bis zur<lb/>
ähnlichen Taille immer &#x017F;chneidender, bis Liane<lb/>
mit dem Mädchenwitz auf einmal fragte:<lb/>
&#x201E;aber warum darf denn mein Bruder Rabet¬<lb/>
&#x201E;ten lieben?&#x201C; &#x2014; &#x201E;<hi rendition="#aq">quelle comparaison</hi>! (&#x017F;agte die<lb/>
&#x201E;Mutter) Bi&#x017F;t Du nichts Be&#x017F;&#x017F;ers als Sie?&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Sie thut eigentlich viel mehr als ich&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
ganz aufrichtig. &#x2014; &#x201E;Stritte&#x017F;t Du nie mit dem<lb/>
wilden Ze&#x017F;ara?&#x201C; fragte die Mutter. &#x2014; &#x201E;Nie,<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er wenn ich Unrecht hatte,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie un¬<lb/>
&#x017F;chuldig.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;chrocken nahm die Mutter immer heller<lb/>
wahr, daß &#x017F;ie tiefere und &#x017F;tärkere Wurzeln als<lb/>
leichte Blumen &#x017F;chlagen auszuziehen habe; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ammlete alle ihre mütterlichen Anziehungskräfte<lb/>
und Hebema&#x017F;chinen auf Einen Punkt zum<lb/>
Sturze der &#x017F;tillen, grünen Myrthe; &#x017F;ie entdeckte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0133] Kaum war ſie mit dem Morgengruß von den Lippen der Mutter weg, ſo ſuchte dieſe, aber ernſter als geſtern, die Wurzeln dieſes feſten Herzens aus ſeinem fremden Boden zu rücken durch den längern Gebrauch der geſtri¬ gen Blumenheber. Sie wurde in der verglei¬ chenden Anatomie zwiſchen Albano und Ro¬ quairol von der gleichen Stimme an bis zur ähnlichen Taille immer ſchneidender, bis Liane mit dem Mädchenwitz auf einmal fragte: „aber warum darf denn mein Bruder Rabet¬ „ten lieben?“ — „quelle comparaison! (ſagte die „Mutter) Biſt Du nichts Beſſers als Sie?“ — „Sie thut eigentlich viel mehr als ich“ ſagte ſie ganz aufrichtig. — „Stritteſt Du nie mit dem wilden Zeſara?“ fragte die Mutter. — „Nie, auſſer wenn ich Unrecht hatte,“ ſagte ſie un¬ ſchuldig. Erſchrocken nahm die Mutter immer heller wahr, daß ſie tiefere und ſtärkere Wurzeln als leichte Blumen ſchlagen auszuziehen habe; ſie ſammlete alle ihre mütterlichen Anziehungskräfte und Hebemaſchinen auf Einen Punkt zum Sturze der ſtillen, grünen Myrthe; ſie entdeckte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/133
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/133>, abgerufen am 25.11.2024.