-- ihre kurze Durchgangsgerechtigkeit durchs Leben und die nahe Wegscheide, an der sie nicht Steine, sondern Blumen auf die andern Pilger zurückwerfen wollte -- alle diese Ge¬ stalten nahmen sie an der Einen Hand um sie von der Mutter wegzuziehen, die ihr mit den Worten nachrief: sieh wie Du undankbar von mir gehst und ich habe so lange für Dich er¬ tragen und gethan. Da zog Liane wieder aus dem warm-dunkeln Rosenthal der Liebe in die trockne, platte Erdfläche eines Lebens zurück, worin sich Nichts hebt als ihr letzter Hügel. O, wie blickte sie bittend zu den Sternen auf, ob sie sich nicht als Augen ihrer Karoline reg¬ ten und ihr es sagten, wie sie sich opfern soll¬ te, ob für den Geliebten oder für die Eltern; allein, die Sterne standen freundlich, kalt und still am festen Himmel.
Aber als die Morgensonne wieder ihr Herz anstrahlte, schlug es hoffend und von neuem gestärkt vom Entschluß, für Albano heu¬ te recht viele Leiden zu erdulden, ach, ja erst die ersten; konnte Karoline, dachte sie, eine Liebe bejahen, der ich untreu seyn müßte? --
— ihre kurze Durchgangsgerechtigkeit durchs Leben und die nahe Wegſcheide, an der ſie nicht Steine, ſondern Blumen auf die andern Pilger zurückwerfen wollte — alle dieſe Ge¬ ſtalten nahmen ſie an der Einen Hand um ſie von der Mutter wegzuziehen, die ihr mit den Worten nachrief: ſieh wie Du undankbar von mir gehſt und ich habe ſo lange für Dich er¬ tragen und gethan. Da zog Liane wieder aus dem warm-dunkeln Roſenthal der Liebe in die trockne, platte Erdfläche eines Lebens zurück, worin ſich Nichts hebt als ihr letzter Hügel. O, wie blickte ſie bittend zu den Sternen auf, ob ſie ſich nicht als Augen ihrer Karoline reg¬ ten und ihr es ſagten, wie ſie ſich opfern ſoll¬ te, ob für den Geliebten oder für die Eltern; allein, die Sterne ſtanden freundlich, kalt und ſtill am feſten Himmel.
Aber als die Morgenſonne wieder ihr Herz anſtrahlte, ſchlug es hoffend und von neuem geſtärkt vom Entſchluß, für Albano heu¬ te recht viele Leiden zu erdulden, ach, ja erſt die erſten; konnte Karoline, dachte ſie, eine Liebe bejahen, der ich untreu ſeyn müßte? —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0132"n="120"/>— ihre kurze Durchgangsgerechtigkeit durchs<lb/>
Leben und die nahe Wegſcheide, an der ſie<lb/>
nicht Steine, ſondern Blumen auf die andern<lb/>
Pilger zurückwerfen wollte — alle dieſe Ge¬<lb/>ſtalten nahmen ſie an der Einen Hand um ſie<lb/>
von der Mutter wegzuziehen, die ihr mit den<lb/>
Worten nachrief: ſieh wie Du undankbar von<lb/>
mir gehſt und ich habe ſo lange für Dich er¬<lb/>
tragen und gethan. Da zog Liane wieder aus<lb/>
dem warm-dunkeln Roſenthal der Liebe in die<lb/>
trockne, platte Erdfläche eines Lebens zurück,<lb/>
worin ſich Nichts hebt als ihr letzter Hügel.<lb/>
O, wie blickte ſie bittend zu den Sternen auf,<lb/>
ob ſie ſich nicht als Augen ihrer Karoline reg¬<lb/>
ten und ihr es ſagten, wie ſie ſich opfern ſoll¬<lb/>
te, ob für den Geliebten oder für die Eltern;<lb/>
allein, die Sterne ſtanden freundlich, kalt und<lb/>ſtill am feſten Himmel.</p><lb/><p>Aber als die Morgenſonne wieder ihr<lb/>
Herz anſtrahlte, ſchlug es hoffend und von<lb/>
neuem geſtärkt vom Entſchluß, für Albano heu¬<lb/>
te recht viele Leiden zu erdulden, ach, ja erſt die<lb/>
erſten; konnte Karoline, dachte ſie, eine Liebe<lb/>
bejahen, der ich untreu ſeyn müßte? —</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[120/0132]
— ihre kurze Durchgangsgerechtigkeit durchs
Leben und die nahe Wegſcheide, an der ſie
nicht Steine, ſondern Blumen auf die andern
Pilger zurückwerfen wollte — alle dieſe Ge¬
ſtalten nahmen ſie an der Einen Hand um ſie
von der Mutter wegzuziehen, die ihr mit den
Worten nachrief: ſieh wie Du undankbar von
mir gehſt und ich habe ſo lange für Dich er¬
tragen und gethan. Da zog Liane wieder aus
dem warm-dunkeln Roſenthal der Liebe in die
trockne, platte Erdfläche eines Lebens zurück,
worin ſich Nichts hebt als ihr letzter Hügel.
O, wie blickte ſie bittend zu den Sternen auf,
ob ſie ſich nicht als Augen ihrer Karoline reg¬
ten und ihr es ſagten, wie ſie ſich opfern ſoll¬
te, ob für den Geliebten oder für die Eltern;
allein, die Sterne ſtanden freundlich, kalt und
ſtill am feſten Himmel.
Aber als die Morgenſonne wieder ihr
Herz anſtrahlte, ſchlug es hoffend und von
neuem geſtärkt vom Entſchluß, für Albano heu¬
te recht viele Leiden zu erdulden, ach, ja erſt die
erſten; konnte Karoline, dachte ſie, eine Liebe
bejahen, der ich untreu ſeyn müßte? —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/132>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.