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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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Leute besteigen mußten*), um besehen zu
werden.

Es ist eine gemeine Einwendung sogenann¬
ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen
Verhandlungen die Liebe sehr sperren oder gar
sprengen; indeß ihr wohl nichts so sehr vorar¬
beitet als eben dies. Denn ist nur der Handel
geschlossen und vom Buchhalter (dem Pfarrer)
ins Hauptbuch eingetragen: so tritt ja die
Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und
versorgen darf, nämlich die schöne Zeit nach
der Heirath, die allgemein in Frankreich und
Italien und allmählig auch in Deutschland als
die schicklichere angenommen wird, wo ein weib¬
liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬
wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬
nezianische, aus einem merkantilischen ein ero¬
bernder. Auch den Gemahl selber unterbricht
das kurze Handlungsgeschäft so wenig nach-
als vorher in seiner Liebe; nur tritt jetzt -- wie
in Nürnberg dem Juden eine alte Frau -- un¬
serem immer eine junge nach. Ja oft fasset der

*) Plaut. Bach. Act. 4. Scen. 7. 4. 16. 17.

Leute beſteigen mußten*), um beſehen zu
werden.

Es iſt eine gemeine Einwendung ſogenann¬
ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen
Verhandlungen die Liebe ſehr ſperren oder gar
ſprengen; indeß ihr wohl nichts ſo ſehr vorar¬
beitet als eben dies. Denn iſt nur der Handel
geſchloſſen und vom Buchhalter (dem Pfarrer)
ins Hauptbuch eingetragen: ſo tritt ja die
Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und
verſorgen darf, nämlich die ſchöne Zeit nach
der Heirath, die allgemein in Frankreich und
Italien und allmählig auch in Deutſchland als
die ſchicklichere angenommen wird, wo ein weib¬
liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬
wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬
nezianiſche, aus einem merkantiliſchen ein ero¬
bernder. Auch den Gemahl ſelber unterbricht
das kurze Handlungsgeſchäft ſo wenig nach-
als vorher in ſeiner Liebe; nur tritt jetzt — wie
in Nürnberg dem Juden eine alte Frau — un¬
ſerem immer eine junge nach. Ja oft faſſet der

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[86/0094] Leute beſteigen mußten *), um beſehen zu werden. Es iſt eine gemeine Einwendung ſogenann¬ ter gefühlvoller junger Herzen, daß dergleichen Verhandlungen die Liebe ſehr ſperren oder gar ſprengen; indeß ihr wohl nichts ſo ſehr vorar¬ beitet als eben dies. Denn iſt nur der Handel geſchloſſen und vom Buchhalter (dem Pfarrer) ins Hauptbuch eingetragen: ſo tritt ja die Zeit ein, wo die Tochter ihr Herz bedenken und verſorgen darf, nämlich die ſchöne Zeit nach der Heirath, die allgemein in Frankreich und Italien und allmählig auch in Deutſchland als die ſchicklichere angenommen wird, wo ein weib¬ liches Herz frei unter der Männer-Schaar er¬ wählen kann; ihr Staat wird dann wie der ve¬ nezianiſche, aus einem merkantiliſchen ein ero¬ bernder. Auch den Gemahl ſelber unterbricht das kurze Handlungsgeſchäft ſo wenig nach- als vorher in ſeiner Liebe; nur tritt jetzt — wie in Nürnberg dem Juden eine alte Frau — un¬ ſerem immer eine junge nach. Ja oft faſſet der *) Plaut. Bach. Act. 4. Scen. 7. 4. 16. 17.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/94>, abgerufen am 02.05.2024.