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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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Leichenzug um das Elysium haltenden Tartarus
und drückte bittere Thränen weg, die über die
Erinnerung flossen, daß er darin seinen ersten
Freund gefunden, der sich jetzt neben ihm auf¬
löse. Da brach der Nachtwind eine von der
Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und
Albano zeigte stumm auf die Niederbrechende;
Karl rief erschrocken: "ja, das bin ich!" --
"Ach Karl, hab' ich Dich denn heute verloren?"
sagte der schuldlose Freund mit unendlichem
Schmerz und die schönen Sterne des Frühlings
fielen wie zischende Funken in seine Wunde.

Vor diesem Worte lösete sich Karls ge¬
spanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬
liger Geist kam über ihn und gebot ihm, die
reine Seele nicht zu quälen mit seiner, ihr nicht
den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich
und jede Eigensucht stumm zu opfern. Sanft
legt' er sich an des Freundes Herz und mit
zauberisch leisen Worten und voll Demuth und
ohne Feuerbilder sagt' er ihm sein ganzes Herz --
und daß es nicht böse sey, sondern nur unglück¬
lich und schwach -- und daß er nur so herzlich-
aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihm

Titan II. C

Leichenzug um das Elyſium haltenden Tartarus
und drückte bittere Thränen weg, die über die
Erinnerung floſſen, daß er darin ſeinen erſten
Freund gefunden, der ſich jetzt neben ihm auf¬
löſe. Da brach der Nachtwind eine von der
Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und
Albano zeigte ſtumm auf die Niederbrechende;
Karl rief erſchrocken: „ja, das bin ich!“ —
„Ach Karl, hab' ich Dich denn heute verloren?“
ſagte der ſchuldloſe Freund mit unendlichem
Schmerz und die ſchönen Sterne des Frühlings
fielen wie ziſchende Funken in ſeine Wunde.

Vor dieſem Worte löſete ſich Karls ge¬
ſpanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬
liger Geiſt kam über ihn und gebot ihm, die
reine Seele nicht zu quälen mit ſeiner, ihr nicht
den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich
und jede Eigenſucht ſtumm zu opfern. Sanft
legt' er ſich an des Freundes Herz und mit
zauberiſch leiſen Worten und voll Demuth und
ohne Feuerbilder ſagt' er ihm ſein ganzes Herz —
und daß es nicht böſe ſey, ſondern nur unglück¬
lich und ſchwach — und daß er nur ſo herzlich-
aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihm

Titan II. C
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[33/0041] Leichenzug um das Elyſium haltenden Tartarus und drückte bittere Thränen weg, die über die Erinnerung floſſen, daß er darin ſeinen erſten Freund gefunden, der ſich jetzt neben ihm auf¬ löſe. Da brach der Nachtwind eine von der Waldraupe getödtete Tanne daraus ab und Albano zeigte ſtumm auf die Niederbrechende; Karl rief erſchrocken: „ja, das bin ich!“ — „Ach Karl, hab' ich Dich denn heute verloren?“ ſagte der ſchuldloſe Freund mit unendlichem Schmerz und die ſchönen Sterne des Frühlings fielen wie ziſchende Funken in ſeine Wunde. Vor dieſem Worte löſete ſich Karls ge¬ ſpanntes Herz in treue gute Thränen, ein hei¬ liger Geiſt kam über ihn und gebot ihm, die reine Seele nicht zu quälen mit ſeiner, ihr nicht den Glauben zu nehmen, ihr das wilde Ich und jede Eigenſucht ſtumm zu opfern. Sanft legt' er ſich an des Freundes Herz und mit zauberiſch leiſen Worten und voll Demuth und ohne Feuerbilder ſagt' er ihm ſein ganzes Herz — und daß es nicht böſe ſey, ſondern nur unglück¬ lich und ſchwach — und daß er nur ſo herzlich- aufrichtig gegen ihn, der zu gut von ihm Titan II. C

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/41>, abgerufen am 28.03.2024.