Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton
stand er wie ein glänzender Gott und sie hätte
gern entweder ihn verschleiert oder sich. Nie war
die Menschheit in reinere Formen, die kein Wulst
irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, geson¬
dert als in diesem Freudenkreise, worin die Kind¬
heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von
Blumen durchwunden sich begegneten und sanft
anfaßten.

Chariton sprach immer von Liane nicht
blos aus Liebe zur Fernen sondern auch zum
Nahen; denn ob sie gleich mit jenen offnen
Augen schaute, die mehr still abzuspiegeln als
anzublicken, mehr einzulassen als einzuziehen
scheinen, so war sie doch wie Kinder, Jung¬
frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬
zig-wahr und schlau. Sie hatte Albano's
Liebe leicht erlauscht, weil überall den Weibern
alles leichter zu verdecken ist, sogar der Haß,
als sein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬
lich, besonders die unvergleichliche Güte,
und "ihr Herr habe gesagt, wenige Männer
"hätten so viel Herz als sie, denn sie sey oft
"ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus

Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton
ſtand er wie ein glänzender Gott und ſie hätte
gern entweder ihn verſchleiert oder ſich. Nie war
die Menſchheit in reinere Formen, die kein Wulſt
irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, geſon¬
dert als in dieſem Freudenkreiſe, worin die Kind¬
heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von
Blumen durchwunden ſich begegneten und ſanft
anfaßten.

Chariton ſprach immer von Liane nicht
blos aus Liebe zur Fernen ſondern auch zum
Nahen; denn ob ſie gleich mit jenen offnen
Augen ſchaute, die mehr ſtill abzuſpiegeln als
anzublicken, mehr einzulaſſen als einzuziehen
ſcheinen, ſo war ſie doch wie Kinder, Jung¬
frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬
zig-wahr und ſchlau. Sie hatte Albano's
Liebe leicht erlauſcht, weil überall den Weibern
alles leichter zu verdecken iſt, ſogar der Haß,
als ſein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬
lich, beſonders die unvergleichliche Güte,
und „ihr Herr habe geſagt, wenige Männer
„hätten ſo viel Herz als ſie, denn ſie ſey oft
„ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="162"/>
Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton<lb/>
&#x017F;tand er wie ein glänzender Gott und &#x017F;ie hätte<lb/>
gern entweder ihn ver&#x017F;chleiert oder &#x017F;ich. Nie war<lb/>
die Men&#x017F;chheit in reinere Formen, die kein Wul&#x017F;t<lb/>
irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, ge&#x017F;on¬<lb/>
dert als in die&#x017F;em Freudenkrei&#x017F;e, worin die Kind¬<lb/>
heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von<lb/>
Blumen durchwunden &#x017F;ich begegneten und &#x017F;anft<lb/>
anfaßten.</p><lb/>
          <p>Chariton &#x017F;prach immer von Liane nicht<lb/>
blos aus Liebe zur Fernen &#x017F;ondern auch zum<lb/>
Nahen; denn ob &#x017F;ie gleich mit jenen offnen<lb/>
Augen &#x017F;chaute, die mehr &#x017F;till abzu&#x017F;piegeln als<lb/>
anzublicken, mehr einzula&#x017F;&#x017F;en als einzuziehen<lb/>
&#x017F;cheinen, &#x017F;o war &#x017F;ie doch wie Kinder, Jung¬<lb/>
frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬<lb/>
zig-wahr und &#x017F;chlau. Sie hatte Albano's<lb/>
Liebe leicht erlau&#x017F;cht, weil überall den Weibern<lb/>
alles leichter zu verdecken i&#x017F;t, &#x017F;ogar der Haß,<lb/>
als &#x017F;ein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬<lb/>
lich, be&#x017F;onders die unvergleichliche Güte,<lb/>
und &#x201E;ihr Herr habe ge&#x017F;agt, wenige Männer<lb/>
&#x201E;hätten &#x017F;o viel Herz als &#x017F;ie, denn &#x017F;ie &#x017F;ey oft<lb/>
&#x201E;ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0170] Strudeln, welche darin giengen. Vor Chariton ſtand er wie ein glänzender Gott und ſie hätte gern entweder ihn verſchleiert oder ſich. Nie war die Menſchheit in reinere Formen, die kein Wulſt irgend eines Geburtslandes verkrüppelte, geſon¬ dert als in dieſem Freudenkreiſe, worin die Kind¬ heit, die Weiblichkeit und die Männlichkeit von Blumen durchwunden ſich begegneten und ſanft anfaßten. Chariton ſprach immer von Liane nicht blos aus Liebe zur Fernen ſondern auch zum Nahen; denn ob ſie gleich mit jenen offnen Augen ſchaute, die mehr ſtill abzuſpiegeln als anzublicken, mehr einzulaſſen als einzuziehen ſcheinen, ſo war ſie doch wie Kinder, Jung¬ frauen, Landleute und Wilde zugleich offenher¬ zig-wahr und ſchlau. Sie hatte Albano's Liebe leicht erlauſcht, weil überall den Weibern alles leichter zu verdecken iſt, ſogar der Haß, als ſein Gegentheil. Sie lobte Lianen unend¬ lich, beſonders die unvergleichliche Güte, und „ihr Herr habe geſagt, wenige Männer „hätten ſo viel Herz als ſie, denn ſie ſey oft „ohne alle Furcht Nachts mit ihr im Tartarus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/170
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/170>, abgerufen am 27.11.2024.