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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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Völkerschaften von Büchern, wie auf einem
Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das
hippokratische Gesicht von der Redoute, und
auf dem Hofkalender eine Pistole -- das Bü¬
cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬
rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬
querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchse,
Fidibus, das nasse Handtuch und die einge¬
trocknete Mundtasse -- das Glashaus der aus¬
gelaufenen Standuhr, und der Wasch- und der
Schreibtisch standen offen, auf welchem letztern
ich mit Erstaunen umsonst nach Unterlage und
Streusand suche -- der Pudermantel lehnte sich
in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬
tuch ritt auf dem Ofenschirm, und das Hirsch¬
geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte
aufs rechte und linke Ohr geschoben -- Briefe
und Visitenkarten waren wie Schmetterlinge
an die Fenstervorhänge gespießet. Ich wäre
nicht fähig, darin ein Billet zu schreiben, ge¬
schweige einen Zykel.

Giebt es aber nicht ein sonnenhelles freiflat¬
terndes Alter, wo man alles gerne sieht, was
reisefertige Unruhe, Abbrechen der Zelte und

Völkerſchaften von Büchern, wie auf einem
Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das
hippokratiſche Geſicht von der Redoute, und
auf dem Hofkalender eine Piſtole — das Bü¬
cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬
rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬
querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchſe,
Fidibus, das naſſe Handtuch und die einge¬
trocknete Mundtaſſe — das Glashaus der aus¬
gelaufenen Standuhr, und der Waſch- und der
Schreibtiſch ſtanden offen, auf welchem letztern
ich mit Erſtaunen umſonſt nach Unterlage und
Streuſand ſuche — der Pudermantel lehnte ſich
in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬
tuch ritt auf dem Ofenſchirm, und das Hirſch¬
geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte
aufs rechte und linke Ohr geſchoben — Briefe
und Viſitenkarten waren wie Schmetterlinge
an die Fenſtervorhänge geſpießet. Ich wäre
nicht fähig, darin ein Billet zu ſchreiben, ge¬
ſchweige einen Zykel.

Giebt es aber nicht ein ſonnenhelles freiflat¬
terndes Alter, wo man alles gerne ſieht, was
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[4/0012] Völkerſchaften von Büchern, wie auf einem Schlachtfeld, und auf Schillers Tragödien das hippokratiſche Geſicht von der Redoute, und auf dem Hofkalender eine Piſtole — das Bü¬ cherbrett bewohnte die Degenkuppel neben ih¬ rer Seifenkugel aus Kreide, ein Schokolade¬ querl, ein leerer Leuchter, eine Pomadebüchſe, Fidibus, das naſſe Handtuch und die einge¬ trocknete Mundtaſſe — das Glashaus der aus¬ gelaufenen Standuhr, und der Waſch- und der Schreibtiſch ſtanden offen, auf welchem letztern ich mit Erſtaunen umſonſt nach Unterlage und Streuſand ſuche — der Pudermantel lehnte ſich in der Ottomanne zurück und ein langes Hals¬ tuch ritt auf dem Ofenſchirm, und das Hirſch¬ geweihe an der Wand hatte zwei Federhüte aufs rechte und linke Ohr geſchoben — Briefe und Viſitenkarten waren wie Schmetterlinge an die Fenſtervorhänge geſpießet. Ich wäre nicht fähig, darin ein Billet zu ſchreiben, ge¬ ſchweige einen Zykel. Giebt es aber nicht ein ſonnenhelles freiflat¬ terndes Alter, wo man alles gerne ſieht, was reiſefertige Unruhe, Abbrechen der Zelte und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/12>, abgerufen am 19.04.2024.