in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft -- keine Wehmuth, sondern ein Durst nach allem Großen, was den Geist be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den schmutzigen Ködern der Zukunft, zogen sein Auge recht schmerzlich zusammen und schwere Tropfen fielen daraus. -- Er stieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten den Knospengarten seiner Kräfte vor frühzeitiger Morgensonne und schnellem Aufspringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reise wurde der Tag seines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend.
Zufällig und träumend verlor er sich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein süßes Wühlen im innersten Herzen dieses be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in seiner Kindheit so oft in die Brust ge¬ sogen, und welche nun jede Phantasie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltsam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬
Titan. I. D
in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft — keine Wehmuth, ſondern ein Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere Tropfen fielen daraus. — Er ſtieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend.
Zufällig und träumend verlor er ſich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬ ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬
Titan. I. D
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0069"n="49"/>
in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬<lb/>
nen Zukunft — keine Wehmuth, ſondern ein<lb/>
Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬<lb/>
wohnt und hebt, und ein Schauder vor den<lb/>ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein<lb/>
Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere<lb/>
Tropfen fielen daraus. — Er ſtieg herab, weil<lb/>
das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde.<lb/>
Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den<lb/>
gehaltenen Gang der Natur verehrte, <choice><sic>hatte</sic><corr>hatten</corr></choice><lb/>
den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger<lb/>
Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬<lb/>
wahret; aber durch die Erwartung des Abends<lb/>
und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬<lb/>
bens jetzt zu warm und zu treibend.</p><lb/><p>Zufällig und träumend verlor er ſich unter<lb/>
Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein<lb/>ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬<lb/>
klemmend weit und leer und wieder voll. Ach<lb/>
er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er<lb/>
hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬<lb/>ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬<lb/>
innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬<lb/>
waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Titan. <hirendition="#aq">I</hi>. D<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[49/0069]
in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬
nen Zukunft — keine Wehmuth, ſondern ein
Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬
wohnt und hebt, und ein Schauder vor den
ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein
Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere
Tropfen fielen daraus. — Er ſtieg herab, weil
das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde.
Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den
gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten
den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger
Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬
wahret; aber durch die Erwartung des Abends
und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬
bens jetzt zu warm und zu treibend.
Zufällig und träumend verlor er ſich unter
Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein
ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬
klemmend weit und leer und wieder voll. Ach
er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er
hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬
ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬
innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬
waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬
Titan. I. D
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/69>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.