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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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seht doch -- o ich wollte, Liane könnt' es se¬
hen -- wie die Rosengluth und das frische
Grün seiner Gesundheit unter den gelben Maro¬
den des Jahrhunderts glänzt, denen wie Schif¬
fen, an der afrikanischen Küste der Jugend alles
zusammenhaltende Pech abgeflossen war -- und
wie ihn das Wangenroth der geistigen Gesund¬
heit, ein zartes immer wiederkommendes Er¬
röthen (aus Sorge um Lianen) schmückt, indeß
mehrere Weltleute am Tische gleich der Baum¬
wolle alle Farben leichter anzunehmen schei¬
nen als die rothe!

Er schauete und horchte, wider die Ord¬
nung des Visiten-Heils, zu sehr Lianen zu.
Sie aß, unter dem höhern Rothe der Furcht,
fehlzugreifen, nur wenig, aber unbefangen;
der Lektor sperrte ihr mit leichter Hand den
kleinsten Irrweg zu. Was ihn wunderte war,
daß sie ein so empfindliches und so leicht wei¬
nendes Herz mit einer so unbefangnen Heiter¬
keit des Angesichts und des Gesprächs bedeckte --
-- junger Mann, das ist bei den weichsten Mäd¬
chen ohne Schmerzen der Liebe, kein Bedecken
und Verstellen, sondern Genuß des Augenblicks

Titan. I. Bb

ſeht doch — o ich wollte, Liane könnt' es ſe¬
hen — wie die Roſengluth und das friſche
Grün ſeiner Geſundheit unter den gelben Maro¬
den des Jahrhunderts glänzt, denen wie Schif¬
fen, an der afrikaniſchen Küſte der Jugend alles
zuſammenhaltende Pech abgefloſſen war — und
wie ihn das Wangenroth der geiſtigen Geſund¬
heit, ein zartes immer wiederkommendes Er¬
röthen (aus Sorge um Lianen) ſchmückt, indeß
mehrere Weltleute am Tiſche gleich der Baum¬
wolle alle Farben leichter anzunehmen ſchei¬
nen als die rothe!

Er ſchauete und horchte, wider die Ord¬
nung des Viſiten-Heils, zu ſehr Lianen zu.
Sie aß, unter dem höhern Rothe der Furcht,
fehlzugreifen, nur wenig, aber unbefangen;
der Lektor ſperrte ihr mit leichter Hand den
kleinſten Irrweg zu. Was ihn wunderte war,
daß ſie ein ſo empfindliches und ſo leicht wei¬
nendes Herz mit einer ſo unbefangnen Heiter¬
keit des Angeſichts und des Geſprächs bedeckte —
— junger Mann, das iſt bei den weichſten Mäd¬
chen ohne Schmerzen der Liebe, kein Bedecken
und Verſtellen, ſondern Genuß des Augenblicks

Titan. I. Bb
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[385/0405] ſeht doch — o ich wollte, Liane könnt' es ſe¬ hen — wie die Roſengluth und das friſche Grün ſeiner Geſundheit unter den gelben Maro¬ den des Jahrhunderts glänzt, denen wie Schif¬ fen, an der afrikaniſchen Küſte der Jugend alles zuſammenhaltende Pech abgefloſſen war — und wie ihn das Wangenroth der geiſtigen Geſund¬ heit, ein zartes immer wiederkommendes Er¬ röthen (aus Sorge um Lianen) ſchmückt, indeß mehrere Weltleute am Tiſche gleich der Baum¬ wolle alle Farben leichter anzunehmen ſchei¬ nen als die rothe! Er ſchauete und horchte, wider die Ord¬ nung des Viſiten-Heils, zu ſehr Lianen zu. Sie aß, unter dem höhern Rothe der Furcht, fehlzugreifen, nur wenig, aber unbefangen; der Lektor ſperrte ihr mit leichter Hand den kleinſten Irrweg zu. Was ihn wunderte war, daß ſie ein ſo empfindliches und ſo leicht wei¬ nendes Herz mit einer ſo unbefangnen Heiter¬ keit des Angeſichts und des Geſprächs bedeckte — — junger Mann, das iſt bei den weichſten Mäd¬ chen ohne Schmerzen der Liebe, kein Bedecken und Verſtellen, ſondern Genuß des Augenblicks Titan. I. Bb

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/405>, abgerufen am 18.05.2024.