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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Rohr. Die Lauben-Allee wuchs oben queer über
den Garten in eine andre dem Wasserhäuschen
nahe hinein; in diese trat er, um der Blinden
oder vielmehr ihrer Leiterinn nicht zu begegnen.

Es kam aber nichts. Freilich war er nicht
wie der Mond -- wie doch zu fordern war --
um eine halbe Stunde später gekommen, son¬
dern gar um eine früher. Der Mond, dieser
Stern, welcher Weise voll Weihrauch zum An¬
beten leitet, ließ endlich breite lange Silber¬
blätter als Festtapeten an Lianens Morgen¬
zimmer niederfallen -- die Madonna auf dem
Pallaste war in den Heiligenschein und Non¬
nenschleier seiner Stralen eingekleidet -- die
Ministerinn stand schon am Fenster -- die
Natur spielte das Larghetto eines magischen
Abends in immer tiefern Tönen -- als Albano
weiter nichts vernahm als ein kleineres bloß
aus Klängen gemachtes, das aus dem Was¬
serhäuschen, dem Lustsitze aller seiner Wünsche
kam, und das sterbend mit dem Frühlingstage
vertönen wollte. Aber er konnte nicht erra¬
then, wer es spiele; man hätt' es herausbrin¬
gen können, daß es Roquairol war, bloß weil

Rohr. Die Lauben-Allee wuchs oben queer über
den Garten in eine andre dem Waſſerhäuschen
nahe hinein; in dieſe trat er, um der Blinden
oder vielmehr ihrer Leiterinn nicht zu begegnen.

Es kam aber nichts. Freilich war er nicht
wie der Mond — wie doch zu fordern war —
um eine halbe Stunde ſpäter gekommen, ſon¬
dern gar um eine früher. Der Mond, dieſer
Stern, welcher Weiſe voll Weihrauch zum An¬
beten leitet, ließ endlich breite lange Silber¬
blätter als Feſttapeten an Lianens Morgen¬
zimmer niederfallen — die Madonna auf dem
Pallaſte war in den Heiligenſchein und Non¬
nenſchleier ſeiner Stralen eingekleidet — die
Miniſterinn ſtand ſchon am Fenſter — die
Natur ſpielte das Larghetto eines magiſchen
Abends in immer tiefern Tönen — als Albano
weiter nichts vernahm als ein kleineres bloß
aus Klängen gemachtes, das aus dem Waſ¬
ſerhäuschen, dem Luſtſitze aller ſeiner Wünſche
kam, und das ſterbend mit dem Frühlingstage
vertönen wollte. Aber er konnte nicht erra¬
then, wer es ſpiele; man hätt' es herausbrin¬
gen können, daß es Roquairol war, bloß weil

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[349/0369] Rohr. Die Lauben-Allee wuchs oben queer über den Garten in eine andre dem Waſſerhäuschen nahe hinein; in dieſe trat er, um der Blinden oder vielmehr ihrer Leiterinn nicht zu begegnen. Es kam aber nichts. Freilich war er nicht wie der Mond — wie doch zu fordern war — um eine halbe Stunde ſpäter gekommen, ſon¬ dern gar um eine früher. Der Mond, dieſer Stern, welcher Weiſe voll Weihrauch zum An¬ beten leitet, ließ endlich breite lange Silber¬ blätter als Feſttapeten an Lianens Morgen¬ zimmer niederfallen — die Madonna auf dem Pallaſte war in den Heiligenſchein und Non¬ nenſchleier ſeiner Stralen eingekleidet — die Miniſterinn ſtand ſchon am Fenſter — die Natur ſpielte das Larghetto eines magiſchen Abends in immer tiefern Tönen — als Albano weiter nichts vernahm als ein kleineres bloß aus Klängen gemachtes, das aus dem Waſ¬ ſerhäuschen, dem Luſtſitze aller ſeiner Wünſche kam, und das ſterbend mit dem Frühlingstage vertönen wollte. Aber er konnte nicht erra¬ then, wer es ſpiele; man hätt' es herausbrin¬ gen können, daß es Roquairol war, bloß weil

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/369>, abgerufen am 22.11.2024.