Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.rende Mensch, der vorher neben der steifen Auf einmal schauete Liane länger und Nur der harte Mann, aber kein Weib und
rende Menſch, der vorher neben der ſteifen Auf einmal ſchauete Liane länger und Nur der harte Mann, aber kein Weib und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="304"/> rende Menſch, der vorher neben der ſteifen<lb/> Leichengarde geſchwiegen hatte, im doppelten<lb/> Zertrümmern fort: „fühlſt du wie ſich dieſer<lb/> „Fangeball des Schickſals, dieſes Ixionsrad der<lb/> „Wünſche ſo ſchmerzlich in uns bewegt? —<lb/> „nur die <hi rendition="#g">Bruſt ohne Herz</hi> wird ruhig.“ —</p><lb/> <p>Auf einmal ſchauete Liane länger und<lb/> ſtarrer auf die Leiche — eine eiskalte Schneide,<lb/> wie von der Todesſichel, drückte ſich durch das<lb/> warme Gehirn — die Trauerkerzen brannten<lb/> (ſchien es ihr) trüber und trüber — dann ſah<lb/> ſie im Winkel des Zimmers eine ſchwarze Wolke<lb/> ſpielen und aufwachſen — dann fieng die<lb/> Wolke zu fliegen an und ſtürzte voll heraus¬<lb/> quellender Nacht über ihre Augen — dann<lb/> ſchlug die dicke Nacht tiefe Wurzeln in den<lb/> wunden Augen und die erſchrockne Seele konnte<lb/> nur ſagen: ach Bruder, ich bin blind.</p><lb/> <p>Nur der harte Mann, aber kein Weib<lb/> wird es faſſen, daß in Roquairols entſetzlichen<lb/> Schmerz einige äſthetiſche Freude über das<lb/> mörderiſche Trauerſpiel eindrang. Julienne<lb/> ſchied vom Todten und von dem alten Schmerze<lb/> und warf ſich mit dem neuen an ihren Hals<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [304/0324]
rende Menſch, der vorher neben der ſteifen
Leichengarde geſchwiegen hatte, im doppelten
Zertrümmern fort: „fühlſt du wie ſich dieſer
„Fangeball des Schickſals, dieſes Ixionsrad der
„Wünſche ſo ſchmerzlich in uns bewegt? —
„nur die Bruſt ohne Herz wird ruhig.“ —
Auf einmal ſchauete Liane länger und
ſtarrer auf die Leiche — eine eiskalte Schneide,
wie von der Todesſichel, drückte ſich durch das
warme Gehirn — die Trauerkerzen brannten
(ſchien es ihr) trüber und trüber — dann ſah
ſie im Winkel des Zimmers eine ſchwarze Wolke
ſpielen und aufwachſen — dann fieng die
Wolke zu fliegen an und ſtürzte voll heraus¬
quellender Nacht über ihre Augen — dann
ſchlug die dicke Nacht tiefe Wurzeln in den
wunden Augen und die erſchrockne Seele konnte
nur ſagen: ach Bruder, ich bin blind.
Nur der harte Mann, aber kein Weib
wird es faſſen, daß in Roquairols entſetzlichen
Schmerz einige äſthetiſche Freude über das
mörderiſche Trauerſpiel eindrang. Julienne
ſchied vom Todten und von dem alten Schmerze
und warf ſich mit dem neuen an ihren Hals
und
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/324>, abgerufen am 16.07.2024. |