Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

einer optischen Wolke schweifender Farben den
unter seinen stummen Zuckungen knackenden
Sessel und gieng langsam mit eingeklemmten
Fingern hinaus.

Der arme junge Mensch hatte heute nach
der anscheinenden Vergebung seines adamiti¬
schen Falles und nach dem Anblicke des ge¬
schmückten neuen Lehrers, auf den er sich schon
so lange gefreuet und dessen gravirtes glänzen¬
des Gehäuse gerade auf ein Kind imponirend
wirkte, die letzte Puppenhaut seines Innern
abgeworfen und sich viel vorgesetzt. Irgend
eine Hand riß vor einer Stunde seinen innern
Menschen aus der engen schläfrigen Wiege der
Kindheit auf -- er sprang auf einmal aus dem
Wärmkorbe -- er warf Fallhut und Flügelkleid
weit weg -- er sah die weite toga virilis dort
hängen und fuhr in sie hinein und sagte: kann
ich denn nicht auch ein Jüngling seyn? --

Ach du Lieber, der Mensch, besonders der
rosenwangige, hält betrogen so leicht Bereuen
für Bessern, Entschlüsse für Thaten, Blüthen für
Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬

baums

einer optiſchen Wolke ſchweifender Farben den
unter ſeinen ſtummen Zuckungen knackenden
Seſſel und gieng langſam mit eingeklemmten
Fingern hinaus.

Der arme junge Menſch hatte heute nach
der anſcheinenden Vergebung ſeines adamiti¬
ſchen Falles und nach dem Anblicke des ge¬
ſchmückten neuen Lehrers, auf den er ſich ſchon
ſo lange gefreuet und deſſen gravirtes glänzen¬
des Gehäuſe gerade auf ein Kind imponirend
wirkte, die letzte Puppenhaut ſeines Innern
abgeworfen und ſich viel vorgeſetzt. Irgend
eine Hand riß vor einer Stunde ſeinen innern
Menſchen aus der engen ſchläfrigen Wiege der
Kindheit auf — er ſprang auf einmal aus dem
Wärmkorbe — er warf Fallhut und Flügelkleid
weit weg — er ſah die weite toga virilis dort
hängen und fuhr in ſie hinein und ſagte: kann
ich denn nicht auch ein Jüngling ſeyn? —

Ach du Lieber, der Menſch, beſonders der
roſenwangige, hält betrogen ſo leicht Bereuen
für Beſſern, Entſchlüſſe für Thaten, Blüthen für
Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬

baums
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="176"/>
einer opti&#x017F;chen Wolke &#x017F;chweifender Farben den<lb/>
unter &#x017F;einen &#x017F;tummen Zuckungen knackenden<lb/>
Se&#x017F;&#x017F;el und gieng lang&#x017F;am mit eingeklemmten<lb/>
Fingern hinaus.</p><lb/>
          <p>Der arme junge Men&#x017F;ch hatte heute nach<lb/>
der an&#x017F;cheinenden Vergebung &#x017F;eines adamiti¬<lb/>
&#x017F;chen Falles und nach dem Anblicke des ge¬<lb/>
&#x017F;chmückten neuen Lehrers, auf den er &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;o lange gefreuet und de&#x017F;&#x017F;en gravirtes glänzen¬<lb/>
des Gehäu&#x017F;e gerade auf ein Kind imponirend<lb/>
wirkte, die letzte Puppenhaut &#x017F;eines Innern<lb/>
abgeworfen und &#x017F;ich viel vorge&#x017F;etzt. Irgend<lb/>
eine Hand riß vor einer Stunde &#x017F;einen innern<lb/>
Men&#x017F;chen aus der engen &#x017F;chläfrigen Wiege der<lb/>
Kindheit auf &#x2014; er &#x017F;prang auf einmal aus dem<lb/>
Wärmkorbe &#x2014; er warf Fallhut und Flügelkleid<lb/>
weit weg &#x2014; er &#x017F;ah die weite <hi rendition="#aq">toga virilis</hi> dort<lb/>
hängen und fuhr in &#x017F;ie hinein und &#x017F;agte: kann<lb/>
ich denn nicht auch ein Jüngling &#x017F;eyn? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ach du Lieber, der Men&#x017F;ch, be&#x017F;onders der<lb/>
ro&#x017F;enwangige, hält betrogen &#x017F;o leicht Bereuen<lb/>
für Be&#x017F;&#x017F;ern, Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e für Thaten, Blüthen für<lb/>
Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">baums<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0196] einer optiſchen Wolke ſchweifender Farben den unter ſeinen ſtummen Zuckungen knackenden Seſſel und gieng langſam mit eingeklemmten Fingern hinaus. Der arme junge Menſch hatte heute nach der anſcheinenden Vergebung ſeines adamiti¬ ſchen Falles und nach dem Anblicke des ge¬ ſchmückten neuen Lehrers, auf den er ſich ſchon ſo lange gefreuet und deſſen gravirtes glänzen¬ des Gehäuſe gerade auf ein Kind imponirend wirkte, die letzte Puppenhaut ſeines Innern abgeworfen und ſich viel vorgeſetzt. Irgend eine Hand riß vor einer Stunde ſeinen innern Menſchen aus der engen ſchläfrigen Wiege der Kindheit auf — er ſprang auf einmal aus dem Wärmkorbe — er warf Fallhut und Flügelkleid weit weg — er ſah die weite toga virilis dort hängen und fuhr in ſie hinein und ſagte: kann ich denn nicht auch ein Jüngling ſeyn? — Ach du Lieber, der Menſch, beſonders der roſenwangige, hält betrogen ſo leicht Bereuen für Beſſern, Entſchlüſſe für Thaten, Blüthen für Früchte, wie am nackten Zweige des Feigen¬ baums

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/196
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/196>, abgerufen am 23.11.2024.