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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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drossen --, daß der Historiker seine Geschichte
nach den Gesetztafeln des Schauspiels stellen
solle, nach einem dramatischen Fokalpunkt. Es
ist aber eine der ersten dramatischen Regeln,
die uns Lessing, Aristoteles und griechische
Muster geben, daß der Schauspieldichter jeder
historischen Begebenheit, die er behandelt, alles
leihen müsse, was der poetischen Täuschung
zuschlägt, so wie das Entgegengesetzte entzie¬
hen, und daß er Schönheit nie der Wahrheit
opfere, sondern umgekehrt. Voltaire gab wie
bekannt nicht nur die leichte Regel, sondern
auch das schwere Muster und dieser große Thea¬
terdichter des Welttheaters blieb in seinen hi¬
storischen Benefiz-Spauspielen von Peter und
Karl nirgends bei der Wahrheit stehen, wo er
gewiß seyn konnte, er gelange eher zur Täu¬
schung. Und das ist eigentlich die ächte, dem
historischen Romane entsprechende romantische
Historie. Nicht ich, sondern Andere -- nämlich
der Lehnprobst und die Legazionssekretaire --
können entscheiden, in wiefern ich eine wahre
Geschichte illusorisch behandelt habe. Ein Un¬
glück ists, daß schwerlich je die ächte Geschichte

Titan. I. H

droſſen —, daß der Hiſtoriker ſeine Geſchichte
nach den Geſetztafeln des Schauſpiels ſtellen
ſolle, nach einem dramatiſchen Fokalpunkt. Es
iſt aber eine der erſten dramatiſchen Regeln,
die uns Leſſing, Ariſtoteles und griechiſche
Muſter geben, daß der Schauſpieldichter jeder
hiſtoriſchen Begebenheit, die er behandelt, alles
leihen müſſe, was der poetiſchen Täuſchung
zuſchlägt, ſo wie das Entgegengeſetzte entzie¬
hen, und daß er Schönheit nie der Wahrheit
opfere, ſondern umgekehrt. Voltaire gab wie
bekannt nicht nur die leichte Regel, ſondern
auch das ſchwere Muſter und dieſer große Thea¬
terdichter des Welttheaters blieb in ſeinen hi¬
ſtoriſchen Benefiz-Spauſpielen von Peter und
Karl nirgends bei der Wahrheit ſtehen, wo er
gewiß ſeyn konnte, er gelange eher zur Täu¬
ſchung. Und das iſt eigentlich die ächte, dem
hiſtoriſchen Romane entſprechende romantiſche
Hiſtorie. Nicht ich, ſondern Andere — nämlich
der Lehnprobſt und die Legazionsſekretaire —
können entſcheiden, in wiefern ich eine wahre
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[113/0133] droſſen —, daß der Hiſtoriker ſeine Geſchichte nach den Geſetztafeln des Schauſpiels ſtellen ſolle, nach einem dramatiſchen Fokalpunkt. Es iſt aber eine der erſten dramatiſchen Regeln, die uns Leſſing, Ariſtoteles und griechiſche Muſter geben, daß der Schauſpieldichter jeder hiſtoriſchen Begebenheit, die er behandelt, alles leihen müſſe, was der poetiſchen Täuſchung zuſchlägt, ſo wie das Entgegengeſetzte entzie¬ hen, und daß er Schönheit nie der Wahrheit opfere, ſondern umgekehrt. Voltaire gab wie bekannt nicht nur die leichte Regel, ſondern auch das ſchwere Muſter und dieſer große Thea¬ terdichter des Welttheaters blieb in ſeinen hi¬ ſtoriſchen Benefiz-Spauſpielen von Peter und Karl nirgends bei der Wahrheit ſtehen, wo er gewiß ſeyn konnte, er gelange eher zur Täu¬ ſchung. Und das iſt eigentlich die ächte, dem hiſtoriſchen Romane entſprechende romantiſche Hiſtorie. Nicht ich, ſondern Andere — nämlich der Lehnprobſt und die Legazionsſekretaire — können entſcheiden, in wiefern ich eine wahre Geſchichte illuſoriſch behandelt habe. Ein Un¬ glück iſts, daß ſchwerlich je die ächte Geſchichte Titan. I. H

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/133>, abgerufen am 23.11.2024.