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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen
Regen nicht.

Er stieg nun auf die hohe Terrasse zurück,
um seinen Freunden entgegen zu sehen. Wie
gebrochen und magisch stahl sich der Sonnen¬
schein der äußern Welt in den heiligen dunkeln
Irrhain der innern! -- Die Natur, die gestern
ein flammender Sonnenball gewesen, war heute
ein Abendstern voll Dämmerlicht -- die Welt
und die Zukunft lagen so groß um ihn und
doch so nahe und berührend, wie vor dem Re¬
gen Eisberge naher scheinen im tiefern Blau --
er stellte sich auf das Geländer und hielt sich
an die kolossalische Statue und sein Auge schweifte
hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen
und zu dem Himmel und wieder herab, und
unter der freundlichen Luft Hesperiens flatterten
leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf
-- weiße Thürme blinkten aus dem Ufer-Grün,
und Glocken und Vögel klangen im Winde
durcheinander. -- Ein schmerzliches Sehnen
faßte ihn, da er nach der Bahn seines Vaters
sah; ach nach dem wärmern Spanien voll
schwelgerischer Frühlinge, voll lauer Orange¬

fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen
Regen nicht.

Er ſtieg nun auf die hohe Terraſſe zurück,
um ſeinen Freunden entgegen zu ſehen. Wie
gebrochen und magiſch ſtahl ſich der Sonnen¬
ſchein der äußern Welt in den heiligen dunkeln
Irrhain der innern! — Die Natur, die geſtern
ein flammender Sonnenball geweſen, war heute
ein Abendſtern voll Dämmerlicht — die Welt
und die Zukunft lagen ſo groß um ihn und
doch ſo nahe und berührend, wie vor dem Re¬
gen Eisberge naher ſcheinen im tiefern Blau —
er ſtellte ſich auf das Geländer und hielt ſich
an die koloſſaliſche Statue und ſein Auge ſchweifte
hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen
und zu dem Himmel und wieder herab, und
unter der freundlichen Luft Heſperiens flatterten
leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf
— weiße Thürme blinkten aus dem Ufer-Grün,
und Glocken und Vögel klangen im Winde
durcheinander. — Ein ſchmerzliches Sehnen
faßte ihn, da er nach der Bahn ſeines Vaters
ſah; ach nach dem wärmern Spanien voll
ſchwelgeriſcher Frühlinge, voll lauer Orange¬

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[90/0110] fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen Regen nicht. Er ſtieg nun auf die hohe Terraſſe zurück, um ſeinen Freunden entgegen zu ſehen. Wie gebrochen und magiſch ſtahl ſich der Sonnen¬ ſchein der äußern Welt in den heiligen dunkeln Irrhain der innern! — Die Natur, die geſtern ein flammender Sonnenball geweſen, war heute ein Abendſtern voll Dämmerlicht — die Welt und die Zukunft lagen ſo groß um ihn und doch ſo nahe und berührend, wie vor dem Re¬ gen Eisberge naher ſcheinen im tiefern Blau — er ſtellte ſich auf das Geländer und hielt ſich an die koloſſaliſche Statue und ſein Auge ſchweifte hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen und zu dem Himmel und wieder herab, und unter der freundlichen Luft Heſperiens flatterten leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf — weiße Thürme blinkten aus dem Ufer-Grün, und Glocken und Vögel klangen im Winde durcheinander. — Ein ſchmerzliches Sehnen faßte ihn, da er nach der Bahn ſeines Vaters ſah; ach nach dem wärmern Spanien voll ſchwelgeriſcher Frühlinge, voll lauer Orange¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/110>, abgerufen am 30.04.2024.