Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

muth und keine Spannung eine Welle gewor¬
fen -- und die dünne zarte, kaum gebogene
Augenbraunen-Linie -- und das Angesicht,
gleich einer vollendeten Perle oval und weiß --
und die loßgeringelte Locke auf den Maien¬
blümchen an ihrem Herzen liegend -- und den
feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬
dung die Gestalt zu erhöhen schien -- und die
idealische Stille ihres Wesens, mit der sie statt
des Arms nur die Finger auf das Geländer
legte, gleichsam als schwebe die Psyche nur
über der Lilienglocke des Körpers und erschüt¬
tere und beuge sie nie -- und die großen blauen
Augen, die sich, indeß das Haupt ein wenig
sank, unaussprechlich-schön aufschlugen und sich
in Träume und in ferne unter Abendröthen
wiederglänzende Ebenen zu verlieren schienen.--

-- Du überglücklicher Mensch! -- Dir er¬
scheint die einzige sichtbare Göttinn, die Schön¬
heit, so plötzlich mit ihrer Allmacht und von
allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn
giebt dir den Wahnsinn -- die Gegenwart mit
ihren Gestalten wird dir unbekannt -- die
Vergangenheit vergeht -- die nahen Töne

ziehen

muth und keine Spannung eine Welle gewor¬
fen — und die dünne zarte, kaum gebogene
Augenbraunen-Linie — und das Angeſicht,
gleich einer vollendeten Perle oval und weiß —
und die loßgeringelte Locke auf den Maien¬
blümchen an ihrem Herzen liegend — und den
feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬
dung die Geſtalt zu erhöhen ſchien — und die
idealiſche Stille ihres Weſens, mit der ſie ſtatt
des Arms nur die Finger auf das Geländer
legte, gleichſam als ſchwebe die Pſyche nur
über der Lilienglocke des Körpers und erſchüt¬
tere und beuge ſie nie — und die großen blauen
Augen, die ſich, indeß das Haupt ein wenig
ſank, unausſprechlich-ſchön aufſchlugen und ſich
in Träume und in ferne unter Abendröthen
wiederglänzende Ebenen zu verlieren ſchienen.—

— Du überglücklicher Menſch! — Dir er¬
ſcheint die einzige ſichtbare Göttinn, die Schön¬
heit, ſo plötzlich mit ihrer Allmacht und von
allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn
giebt dir den Wahnſinn — die Gegenwart mit
ihren Geſtalten wird dir unbekannt — die
Vergangenheit vergeht — die nahen Töne

ziehen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0372" n="352"/>
muth und keine Spannung eine Welle gewor¬<lb/>
fen &#x2014; und die dünne zarte, kaum gebogene<lb/>
Augenbraunen-Linie &#x2014; und das Ange&#x017F;icht,<lb/>
gleich einer vollendeten Perle oval und weiß &#x2014;<lb/>
und die <choice><sic>losgeriegelte</sic><corr type="corrigenda">loßgeringelte</corr></choice> Locke auf den Maien¬<lb/>
blümchen an ihrem Herzen liegend &#x2014; und den<lb/>
feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬<lb/>
dung die Ge&#x017F;talt zu erhöhen &#x017F;chien &#x2014; und die<lb/>
ideali&#x017F;che Stille ihres We&#x017F;ens, mit der &#x017F;ie &#x017F;tatt<lb/>
des Arms nur die Finger auf das Geländer<lb/>
legte, gleich&#x017F;am als &#x017F;chwebe die P&#x017F;yche nur<lb/>
über der Lilienglocke des Körpers und er&#x017F;chüt¬<lb/>
tere und beuge &#x017F;ie nie &#x2014; und die großen blauen<lb/>
Augen, die &#x017F;ich, indeß das Haupt ein wenig<lb/>
&#x017F;ank, unaus&#x017F;prechlich-&#x017F;chön auf&#x017F;chlugen und &#x017F;ich<lb/>
in Träume und in ferne unter Abendröthen<lb/>
wiederglänzende Ebenen zu verlieren &#x017F;chienen.&#x2014;</p><lb/>
          <p>&#x2014; Du überglücklicher Men&#x017F;ch! &#x2014; Dir er¬<lb/>
&#x017F;cheint die einzige &#x017F;ichtbare Göttinn, die Schön¬<lb/>
heit, &#x017F;o plötzlich mit ihrer Allmacht und von<lb/>
allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn<lb/>
giebt dir den Wahn&#x017F;inn &#x2014; die Gegenwart mit<lb/>
ihren Ge&#x017F;talten wird dir unbekannt &#x2014; die<lb/>
Vergangenheit vergeht &#x2014; die nahen Töne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ziehen<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0372] muth und keine Spannung eine Welle gewor¬ fen — und die dünne zarte, kaum gebogene Augenbraunen-Linie — und das Angeſicht, gleich einer vollendeten Perle oval und weiß — und die loßgeringelte Locke auf den Maien¬ blümchen an ihrem Herzen liegend — und den feinen Grazienwuchs, der wie die weiße Beklei¬ dung die Geſtalt zu erhöhen ſchien — und die idealiſche Stille ihres Weſens, mit der ſie ſtatt des Arms nur die Finger auf das Geländer legte, gleichſam als ſchwebe die Pſyche nur über der Lilienglocke des Körpers und erſchüt¬ tere und beuge ſie nie — und die großen blauen Augen, die ſich, indeß das Haupt ein wenig ſank, unausſprechlich-ſchön aufſchlugen und ſich in Träume und in ferne unter Abendröthen wiederglänzende Ebenen zu verlieren ſchienen.— — Du überglücklicher Menſch! — Dir er¬ ſcheint die einzige ſichtbare Göttinn, die Schön¬ heit, ſo plötzlich mit ihrer Allmacht und von allen ihren Himmeln begleitet und die Göttinn giebt dir den Wahnſinn — die Gegenwart mit ihren Geſtalten wird dir unbekannt — die Vergangenheit vergeht — die nahen Töne ziehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/372
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/372>, abgerufen am 28.11.2024.