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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Mutter dachte oder an sein vielleicht leeres
Warten. Die Fontainen sprangen noch nicht
-- er rupfte wie ein Vorherbst immer mehr
breite Fächerblätter aus seiner grünenden spa¬
nischen Wand und sah doch durch alle weitere
Fenster Lianen nicht über den Kiesweg her¬
kommen (welches schon darum unmöglich war,
weil sie längst im Wasserhäuschen bei ihrem
Bruder stand) -- und er verzagte an ihrer Er¬
scheinung: als dieser plötzlich ins gedachte For¬
tissimo stürmte und als alle Fontainen vor dem
Monde rauschende Kränze aus Flittersilber
aufwarfen. Albano blickte hinaus. . . .

Liane stand droben im Mondenschimmer
hinter dem flatternden Wasser. Welche Erschei¬
nung! -- Er riß die Laubenzweige an seinem
Angesichte auseinander und schauete unbedeckt
und athemlos an die heilig-schöne Gestalt!
Wie griechische Götter überirrdisch vor der Fak¬
kel stehen und blicken, so glänzte Liane vor
dem Monde von dem umherrinnenden Wieder¬
scheine der silbernen Regenbogen beschattet und
der seelige Jüngling sah die junge offne stille
Marienstirn bestrahlt, auf der noch kein Un¬

Mutter dachte oder an ſein vielleicht leeres
Warten. Die Fontainen ſprangen noch nicht
— er rupfte wie ein Vorherbſt immer mehr
breite Fächerblätter aus ſeiner grünenden ſpa¬
niſchen Wand und ſah doch durch alle weitere
Fenſter Lianen nicht über den Kiesweg her¬
kommen (welches ſchon darum unmöglich war,
weil ſie längſt im Waſſerhäuschen bei ihrem
Bruder ſtand) — und er verzagte an ihrer Er¬
ſcheinung: als dieſer plötzlich ins gedachte For¬
tiſſimo ſtürmte und als alle Fontainen vor dem
Monde rauſchende Kränze aus Flitterſilber
aufwarfen. Albano blickte hinaus. . . .

Liane ſtand droben im Mondenſchimmer
hinter dem flatternden Waſſer. Welche Erſchei¬
nung! — Er riß die Laubenzweige an ſeinem
Angeſichte auseinander und ſchauete unbedeckt
und athemlos an die heilig-ſchöne Geſtalt!
Wie griechiſche Götter überirrdiſch vor der Fak¬
kel ſtehen und blicken, ſo glänzte Liane vor
dem Monde von dem umherrinnenden Wieder¬
ſcheine der ſilbernen Regenbogen beſchattet und
der ſeelige Jüngling ſah die junge offne ſtille
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[351/0371] Mutter dachte oder an ſein vielleicht leeres Warten. Die Fontainen ſprangen noch nicht — er rupfte wie ein Vorherbſt immer mehr breite Fächerblätter aus ſeiner grünenden ſpa¬ niſchen Wand und ſah doch durch alle weitere Fenſter Lianen nicht über den Kiesweg her¬ kommen (welches ſchon darum unmöglich war, weil ſie längſt im Waſſerhäuschen bei ihrem Bruder ſtand) — und er verzagte an ihrer Er¬ ſcheinung: als dieſer plötzlich ins gedachte For¬ tiſſimo ſtürmte und als alle Fontainen vor dem Monde rauſchende Kränze aus Flitterſilber aufwarfen. Albano blickte hinaus. . . . Liane ſtand droben im Mondenſchimmer hinter dem flatternden Waſſer. Welche Erſchei¬ nung! — Er riß die Laubenzweige an ſeinem Angeſichte auseinander und ſchauete unbedeckt und athemlos an die heilig-ſchöne Geſtalt! Wie griechiſche Götter überirrdiſch vor der Fak¬ kel ſtehen und blicken, ſo glänzte Liane vor dem Monde von dem umherrinnenden Wieder¬ ſcheine der ſilbernen Regenbogen beſchattet und der ſeelige Jüngling ſah die junge offne ſtille Marienſtirn beſtrahlt, auf der noch kein Un¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/371>, abgerufen am 28.11.2024.