Fühlhörner nie in sich zurück, sondern betastet damit jedes Lüftgen und krümmt sie um jedes Blättgen -- mit drei Worten: das Gefühl, das H. Stahl der Seele von der ganzen Beschaffenheit ihres Körpers zuschreibt, ist bei ihr so lebendig, daß sie in Ei¬ nem fort fühlt, wie sie sitzt und steht, wie das leichteste Band aufliegt, welchen Zirkelbogen die ge¬ krümmte Hutfeder beschreibt -- mit zwei Worten: ihre Seele fühlt nicht nur den Tonus aller em¬ pfindlichen Theile des Körpers sondern auch der un¬ empfindlichen, der Haare und der Kleider -- mit Ei¬ nem Worte: ihre innere Welt ist nur ein Welttheil ein Abdruck der äußern.
Bei Gustav aber nicht: seine innere Welt steht weit abgerissen neben der äußern, er kann von keiner in die andre, die äußere ist nur der Trabant nnd Ne¬ benplanet der innern. Seiner Seele -- in den Ge¬ hirn-Weltglobus, den der Hut bedeckt, eingesperret verbauen die bunten eignen Gewächse, auf denen sie sich wiegt und vergisset, die Aussicht auf die Gegen¬ stände jenseits ihres Körpers, die nur dünne Schat¬ ten auf ihre Gedanken-Auen werfen: sie sieht also die äußere Welt nur dann, wenn sie sich ih¬ rer erinnert; dann ist diese in die innere versetzt
Fuͤhlhoͤrner nie in ſich zuruͤck, ſondern betaſtet damit jedes Luͤftgen und kruͤmmt ſie um jedes Blaͤttgen — mit drei Worten: das Gefuͤhl, das H. Stahl der Seele von der ganzen Beſchaffenheit ihres Koͤrpers zuſchreibt, iſt bei ihr ſo lebendig, daß ſie in Ei¬ nem fort fuͤhlt, wie ſie ſitzt und ſteht, wie das leichteſte Band aufliegt, welchen Zirkelbogen die ge¬ kruͤmmte Hutfeder beſchreibt — mit zwei Worten: ihre Seele fuͤhlt nicht nur den Tonus aller em¬ pfindlichen Theile des Koͤrpers ſondern auch der un¬ empfindlichen, der Haare und der Kleider — mit Ei¬ nem Worte: ihre innere Welt iſt nur ein Welttheil ein Abdruck der aͤußern.
Bei Guſtav aber nicht: ſeine innere Welt ſteht weit abgeriſſen neben der aͤußern, er kann von keiner in die andre, die aͤußere iſt nur der Trabant nnd Ne¬ benplanet der innern. Seiner Seele — in den Ge¬ hirn-Weltglobus, den der Hut bedeckt, eingeſperret verbauen die bunten eignen Gewaͤchſe, auf denen ſie ſich wiegt und vergiſſet, die Ausſicht auf die Gegen¬ ſtaͤnde jenſeits ihres Koͤrpers, die nur duͤnne Schat¬ ten auf ihre Gedanken-Auen werfen: ſie ſieht alſo die aͤußere Welt nur dann, wenn ſie ſich ih¬ rer erinnert; dann iſt dieſe in die innere verſetzt
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Fuͤhlhoͤrner nie in ſich zuruͤck, ſondern betaſtet damit
jedes Luͤftgen und kruͤmmt ſie um jedes Blaͤttgen —
mit drei Worten: das Gefuͤhl, das H. Stahl der
Seele von der ganzen Beſchaffenheit ihres Koͤrpers
zuſchreibt, iſt bei ihr ſo lebendig, daß ſie in Ei¬
nem fort fuͤhlt, wie ſie ſitzt und ſteht, wie das
leichteſte Band aufliegt, welchen Zirkelbogen die ge¬
kruͤmmte Hutfeder beſchreibt — mit zwei Worten:
ihre Seele fuͤhlt nicht nur den Tonus aller em¬
pfindlichen Theile des Koͤrpers ſondern auch der un¬
empfindlichen, der Haare und der Kleider — mit Ei¬
nem Worte: ihre innere Welt iſt nur ein Welttheil
ein Abdruck der aͤußern.
Bei Guſtav aber nicht: ſeine innere Welt ſteht
weit abgeriſſen neben der aͤußern, er kann von keiner
in die andre, die aͤußere iſt nur der Trabant nnd Ne¬
benplanet der innern. Seiner Seele — in den Ge¬
hirn-Weltglobus, den der Hut bedeckt, eingeſperret
verbauen die bunten eignen Gewaͤchſe, auf denen ſie
ſich wiegt und vergiſſet, die Ausſicht auf die Gegen¬
ſtaͤnde jenſeits ihres Koͤrpers, die nur duͤnne Schat¬
ten auf ihre Gedanken-Auen werfen: ſie ſieht
alſo die aͤußere Welt nur dann, wenn ſie ſich ih¬
rer erinnert; dann iſt dieſe in die innere verſetzt
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/66>, abgerufen am 21.11.2024.
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