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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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aus Noth zum Einfall greifen, daß er die Hexa¬
meter ganz unleserlich schrieb was auch gut
war. Durch diese poetische Freiheit bog er dem
Verstehen ungezwungen vor.

Um eilf Uhr deckte er für seine Vögel, und
dann für sich und seine Mutter, den Tisch mit
vier Schubladen, in dem mehr war als auf ihm.
Er schnitt das Brod, und seiner Mutter die weiße
Rinde vor, ob er gleich die schwarze nicht gern aß.
O meine Freunde, warum kann man denn im
hotel de Baviere und auf dem Römer nicht so ver¬
gnügt speisen als am Wuzischen Ladentisch? --
Sogleich nach dem Essen machte er nicht Hexame¬
ter, sondern Kochlöffel und meine Schwester hat
selber ein Dutzend von ihm. Während seine Mut¬
ter das wusch was er schnitzte: ließen beide ihre
Seelen nicht ohne Kost; sie erzählte ihm die Per¬
sonalien von sich und seinem Vater vor, von deren
Kenntniß ihn seine akademische Laufbahn zu ent¬
fernt gehalten -- und er schlug den Operations¬
plan und Bauriß seiner künftigen Haushaltung be¬
scheiden vor ihr auf, weil er sich an dem Gedan¬
ken ein Hausvater zu seyn, gar nicht satt käuen
konnte. "Ich richte mir -- sagte er -- mein Haus¬

aus Noth zum Einfall greifen, daß er die Hexa¬
meter ganz unleſerlich ſchrieb was auch gut
war. Durch dieſe poetiſche Freiheit bog er dem
Verſtehen ungezwungen vor.

Um eilf Uhr deckte er fuͤr ſeine Voͤgel, und
dann fuͤr ſich und ſeine Mutter, den Tiſch mit
vier Schubladen, in dem mehr war als auf ihm.
Er ſchnitt das Brod, und ſeiner Mutter die weiße
Rinde vor, ob er gleich die ſchwarze nicht gern aß.
O meine Freunde, warum kann man denn im
hotel de Baviére und auf dem Roͤmer nicht ſo ver¬
gnuͤgt ſpeiſen als am Wuziſchen Ladentiſch? —
Sogleich nach dem Eſſen machte er nicht Hexame¬
ter, ſondern Kochloͤffel und meine Schweſter hat
ſelber ein Dutzend von ihm. Waͤhrend ſeine Mut¬
ter das wuſch was er ſchnitzte: ließen beide ihre
Seelen nicht ohne Koſt; ſie erzaͤhlte ihm die Per¬
ſonalien von ſich und ſeinem Vater vor, von deren
Kenntniß ihn ſeine akademiſche Laufbahn zu ent¬
fernt gehalten — und er ſchlug den Operations¬
plan und Bauriß ſeiner kuͤnftigen Haushaltung be¬
ſcheiden vor ihr auf, weil er ſich an dem Gedan¬
ken ein Hausvater zu ſeyn, gar nicht ſatt kaͤuen
konnte. „Ich richte mir — ſagte er — mein Haus¬

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[406/0416] aus Noth zum Einfall greifen, daß er die Hexa¬ meter ganz unleſerlich ſchrieb was auch gut war. Durch dieſe poetiſche Freiheit bog er dem Verſtehen ungezwungen vor. Um eilf Uhr deckte er fuͤr ſeine Voͤgel, und dann fuͤr ſich und ſeine Mutter, den Tiſch mit vier Schubladen, in dem mehr war als auf ihm. Er ſchnitt das Brod, und ſeiner Mutter die weiße Rinde vor, ob er gleich die ſchwarze nicht gern aß. O meine Freunde, warum kann man denn im hotel de Baviére und auf dem Roͤmer nicht ſo ver¬ gnuͤgt ſpeiſen als am Wuziſchen Ladentiſch? — Sogleich nach dem Eſſen machte er nicht Hexame¬ ter, ſondern Kochloͤffel und meine Schweſter hat ſelber ein Dutzend von ihm. Waͤhrend ſeine Mut¬ ter das wuſch was er ſchnitzte: ließen beide ihre Seelen nicht ohne Koſt; ſie erzaͤhlte ihm die Per¬ ſonalien von ſich und ſeinem Vater vor, von deren Kenntniß ihn ſeine akademiſche Laufbahn zu ent¬ fernt gehalten — und er ſchlug den Operations¬ plan und Bauriß ſeiner kuͤnftigen Haushaltung be¬ ſcheiden vor ihr auf, weil er ſich an dem Gedan¬ ken ein Hausvater zu ſeyn, gar nicht ſatt kaͤuen konnte. „Ich richte mir — ſagte er — mein Haus¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/416>, abgerufen am 22.11.2024.