dieser Baumschule des denkenden Romanmachers: denn wenn (nach dem System der Disseminazion) die Keime des wirklichen Menschen neben dem Saa¬ menstaub der Blumen in der Luft herumflattern und aus ihr, als dem Repositorium der Nach¬ welt, von den Vätern müssen präcipitirt und ein¬ geschluckt werden: so müssen Autores noch viel¬ mehr die Zeichnungen von Menschen aus der Luft, wo alle epikurische Abblätterungen wirk¬ licher Dinge fliegen, sich holen und aufs Papier schmieden, damit der Leser nicht brumme.
Einige Tage war die v. Bouse nicht zu spre¬ chen, als das Original seine Kopie zu ihr tragen wollte. Endlich schickte sie nach beiden. Sein Ge¬ sicht wurde dem gemalten sehr unähnlich, als sein Blick bei dem Eintritt auf seine physiognomische Schwester fiel, die mit der kleinen Bouse am Kla¬ viere sang, auf Beaten. Wir arme Teufel (die wir nicht an Stammbäumen sondern von Stamm¬ gebüsch herauswuchsen) werden von vier Wänden so nahe an einander gerückt, daß wir uns warm machen; hingegen die veloutirten Wände der Gros¬ sen halten ihre Insassen so sehr als Stadtmauern auseinander und es ist darin wie in Wirthszim¬
dieſer Baumſchule des denkenden Romanmachers: denn wenn (nach dem Syſtem der Diſſeminazion) die Keime des wirklichen Menſchen neben dem Saa¬ menſtaub der Blumen in der Luft herumflattern und aus ihr, als dem Repoſitorium der Nach¬ welt, von den Vaͤtern muͤſſen praͤcipitirt und ein¬ geſchluckt werden: ſo muͤſſen Autores noch viel¬ mehr die Zeichnungen von Menſchen aus der Luft, wo alle epikuriſche Abblaͤtterungen wirk¬ licher Dinge fliegen, ſich holen und aufs Papier ſchmieden, damit der Leſer nicht brumme.
Einige Tage war die v. Bouſe nicht zu ſpre¬ chen, als das Original ſeine Kopie zu ihr tragen wollte. Endlich ſchickte ſie nach beiden. Sein Ge¬ ſicht wurde dem gemalten ſehr unaͤhnlich, als ſein Blick bei dem Eintritt auf ſeine phyſiognomiſche Schweſter fiel, die mit der kleinen Bouſe am Kla¬ viere ſang, auf Beaten. Wir arme Teufel (die wir nicht an Stammbaͤumen ſondern von Stamm¬ gebuͤſch herauswuchſen) werden von vier Waͤnden ſo nahe an einander geruͤckt, daß wir uns warm machen; hingegen die veloutirten Waͤnde der Groſ¬ ſen halten ihre Inſaſſen ſo ſehr als Stadtmauern auseinander und es iſt darin wie in Wirthszim¬
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dieſer Baumſchule des denkenden Romanmachers:
denn wenn (nach dem Syſtem der Diſſeminazion) die
Keime des wirklichen Menſchen neben dem Saa¬
menſtaub der Blumen in der Luft herumflattern
und aus ihr, als dem Repoſitorium der Nach¬
welt, von den Vaͤtern muͤſſen praͤcipitirt und ein¬
geſchluckt werden: ſo muͤſſen Autores noch viel¬
mehr die Zeichnungen von Menſchen aus der
Luft, wo alle epikuriſche Abblaͤtterungen wirk¬
licher Dinge fliegen, ſich holen und aufs Papier
ſchmieden, damit der Leſer nicht brumme.
Einige Tage war die v. Bouſe nicht zu ſpre¬
chen, als das Original ſeine Kopie zu ihr tragen
wollte. Endlich ſchickte ſie nach beiden. Sein Ge¬
ſicht wurde dem gemalten ſehr unaͤhnlich, als ſein
Blick bei dem Eintritt auf ſeine phyſiognomiſche
Schweſter fiel, die mit der kleinen Bouſe am Kla¬
viere ſang, auf Beaten. Wir arme Teufel (die
wir nicht an Stammbaͤumen ſondern von Stamm¬
gebuͤſch herauswuchſen) werden von vier Waͤnden
ſo nahe an einander geruͤckt, daß wir uns warm
machen; hingegen die veloutirten Waͤnde der Groſ¬
ſen halten ihre Inſaſſen ſo ſehr als Stadtmauern
auseinander und es iſt darin wie in Wirthszim¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/40>, abgerufen am 23.04.2024.
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