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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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feines durch das zurückgehende Portrait wärmer ge¬
worden war. Die gestörte Liebe macht den besten
Menschen nicht besser, bloß die glückliche.

In sieben Minuten wars vorbei: denn im gei¬
stigen Menschen ist die nämliche herrliche Einrich¬
tung wie im physischen, daß um eine bittere,
scharfe Idee so lange andre Ideen wie mildere Säf¬
te zufliessen bis sie ihre Schärfe verdünnt und er¬
säuft haben. Das Portrait wurde jetzt die zweite
gefundene Rose; es war angehaucht mit Leben
und Rosenduft durch die schönsten Augen und Lip¬
pen, die auf ihm gewesen waren.

Jezt sah er sie einige Zeit nicht im Garten,
aber dafür den Fürsten mit und ohne die Residen¬
tin. Gehet aus dem stillen Lande in euer rauschen¬
des! ihr genießet doch die schöne Natur nur als
eine größere Landschaft, die in euerem Bilderkabi¬
net oder an der Leinwand euerer Operntheater
hängt, oder als eine unermeßliche Tafel- und Ka¬
min-Verzierung, wo euch die Felsen von Bims¬
stein und die Bäume von Moos geformet vorkom¬
men, höchstens als den grösten englischen Park,
der neuerer Zeiten in Europa an irgend einem
Hofe anzutreffen ist. -- In allen Sessionszimmern

feines durch das zuruͤckgehende Portrait waͤrmer ge¬
worden war. Die geſtoͤrte Liebe macht den beſten
Menſchen nicht beſſer, bloß die gluͤckliche.

In ſieben Minuten wars vorbei: denn im gei¬
ſtigen Menſchen iſt die naͤmliche herrliche Einrich¬
tung wie im phyſiſchen, daß um eine bittere,
ſcharfe Idee ſo lange andre Ideen wie mildere Saͤf¬
te zuflieſſen bis ſie ihre Schaͤrfe verduͤnnt und er¬
ſaͤuft haben. Das Portrait wurde jetzt die zweite
gefundene Roſe; es war angehaucht mit Leben
und Roſenduft durch die ſchoͤnſten Augen und Lip¬
pen, die auf ihm geweſen waren.

Jezt ſah er ſie einige Zeit nicht im Garten,
aber dafuͤr den Fuͤrſten mit und ohne die Reſiden¬
tin. Gehet aus dem ſtillen Lande in euer rauſchen¬
des! ihr genießet doch die ſchoͤne Natur nur als
eine groͤßere Landſchaft, die in euerem Bilderkabi¬
net oder an der Leinwand euerer Operntheater
haͤngt, oder als eine unermeßliche Tafel- und Ka¬
min-Verzierung, wo euch die Felſen von Bims¬
ſtein und die Baͤume von Moos geformet vorkom¬
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der neuerer Zeiten in Europa an irgend einem
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[14/0024] feines durch das zuruͤckgehende Portrait waͤrmer ge¬ worden war. Die geſtoͤrte Liebe macht den beſten Menſchen nicht beſſer, bloß die gluͤckliche. In ſieben Minuten wars vorbei: denn im gei¬ ſtigen Menſchen iſt die naͤmliche herrliche Einrich¬ tung wie im phyſiſchen, daß um eine bittere, ſcharfe Idee ſo lange andre Ideen wie mildere Saͤf¬ te zuflieſſen bis ſie ihre Schaͤrfe verduͤnnt und er¬ ſaͤuft haben. Das Portrait wurde jetzt die zweite gefundene Roſe; es war angehaucht mit Leben und Roſenduft durch die ſchoͤnſten Augen und Lip¬ pen, die auf ihm geweſen waren. Jezt ſah er ſie einige Zeit nicht im Garten, aber dafuͤr den Fuͤrſten mit und ohne die Reſiden¬ tin. Gehet aus dem ſtillen Lande in euer rauſchen¬ des! ihr genießet doch die ſchoͤne Natur nur als eine groͤßere Landſchaft, die in euerem Bilderkabi¬ net oder an der Leinwand euerer Operntheater haͤngt, oder als eine unermeßliche Tafel- und Ka¬ min-Verzierung, wo euch die Felſen von Bims¬ ſtein und die Baͤume von Moos geformet vorkom¬ men, hoͤchſtens als den groͤſten engliſchen Park, der neuerer Zeiten in Europa an irgend einem Hofe anzutreffen iſt. — In allen Seſſionszimmern

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/24>, abgerufen am 29.03.2024.