zens-Schreibtafel wurde immer schmutziger, je mehr sie hinein schrieb und heraus wischte. Diese konnte durchaus keinen edeln Menschen hinterge¬ hen; jene konnt' es.
Jetzt nach dieser Digression kann der Leser nicht mehr irre werden, wenn ihr Betragen gegen Gu¬ stav weder aufrichtig noch verstellt sondern beides ist. Sie zeigte ihm das Nachtstück, das der russi¬ sche Fürst dagelassen und das sie der richtigern Be¬ leuchtung wegen in ihrem Kabinette aufgehan¬ gen hatte. Es stellte bloß eine Nacht, einen auf¬ gehenden Mond, eine Indianerin, die ihm auf einem Berge entgegenbetet, und einen Jüngling vor, der auch Gebet und Arme an den Mond, die Augen aber auf die geliebte Beterin an seiner Sei¬ te richtete: im Hintergrund beleuchtete noch ein Johanniswürmchen eine mondlose Stelle. Sie blie¬ ben im Kabinet, die Residentin verlor sich in die gemalte Nacht, Gustav sprach darüber: endlich erwachte sie schnell aus ihrem Schauen und Schwei¬ gen mit den schlaftrunknen Worten: "meine Ge¬ burtstage machen mich allemal betrübt." Sie zeich¬ nete ihm zum Beweise fast alle dunklern Parthien ihrer Lebensgeschichte vor; das Trauer-Gemälde
zens-Schreibtafel wurde immer ſchmutziger, je mehr ſie hinein ſchrieb und heraus wiſchte. Dieſe konnte durchaus keinen edeln Menſchen hinterge¬ hen; jene konnt' es.
Jetzt nach dieſer Digreſſion kann der Leſer nicht mehr irre werden, wenn ihr Betragen gegen Gu¬ ſtav weder aufrichtig noch verſtellt ſondern beides iſt. Sie zeigte ihm das Nachtſtuͤck, das der ruſſi¬ ſche Fuͤrſt dagelaſſen und das ſie der richtigern Be¬ leuchtung wegen in ihrem Kabinette aufgehan¬ gen hatte. Es ſtellte bloß eine Nacht, einen auf¬ gehenden Mond, eine Indianerin, die ihm auf einem Berge entgegenbetet, und einen Juͤngling vor, der auch Gebet und Arme an den Mond, die Augen aber auf die geliebte Beterin an ſeiner Sei¬ te richtete: im Hintergrund beleuchtete noch ein Johanniswuͤrmchen eine mondloſe Stelle. Sie blie¬ ben im Kabinet, die Reſidentin verlor ſich in die gemalte Nacht, Guſtav ſprach daruͤber: endlich erwachte ſie ſchnell aus ihrem Schauen und Schwei¬ gen mit den ſchlaftrunknen Worten: „meine Ge¬ burtstage machen mich allemal betruͤbt.“ Sie zeich¬ nete ihm zum Beweiſe faſt alle dunklern Parthien ihrer Lebensgeſchichte vor; das Trauer-Gemaͤlde
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zens-Schreibtafel wurde immer ſchmutziger, je
mehr ſie hinein ſchrieb und heraus wiſchte. Dieſe
konnte durchaus keinen edeln Menſchen hinterge¬
hen; jene konnt' es.
Jetzt nach dieſer Digreſſion kann der Leſer nicht
mehr irre werden, wenn ihr Betragen gegen Gu¬
ſtav weder aufrichtig noch verſtellt ſondern beides
iſt. Sie zeigte ihm das Nachtſtuͤck, das der ruſſi¬
ſche Fuͤrſt dagelaſſen und das ſie der richtigern Be¬
leuchtung wegen in ihrem Kabinette aufgehan¬
gen hatte. Es ſtellte bloß eine Nacht, einen auf¬
gehenden Mond, eine Indianerin, die ihm auf
einem Berge entgegenbetet, und einen Juͤngling
vor, der auch Gebet und Arme an den Mond, die
Augen aber auf die geliebte Beterin an ſeiner Sei¬
te richtete: im Hintergrund beleuchtete noch ein
Johanniswuͤrmchen eine mondloſe Stelle. Sie blie¬
ben im Kabinet, die Reſidentin verlor ſich in die
gemalte Nacht, Guſtav ſprach daruͤber: endlich
erwachte ſie ſchnell aus ihrem Schauen und Schwei¬
gen mit den ſchlaftrunknen Worten: „meine Ge¬
burtstage machen mich allemal betruͤbt.“ Sie zeich¬
nete ihm zum Beweiſe faſt alle dunklern Parthien
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/228>, abgerufen am 04.05.2024.
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