Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

daher freilich der große Konnor leicht verfechten
kann, ein auferstandner Christ falle nicht größer aus
wie eine Stechfliege -- solcher Glieder hatte sich die
amputirte Junto schon vor der Auferstehung entla¬
den oder doch viel davon weg gethan.

Ich hab' oft darüber nachgedacht, warum thuns
die Großen und machen sich zu Kleinen im physischen
Sinn; aber ich war zu dumm, andre Gründe zu er¬
rathen als folgende: der Sitz des Zorns (wofür nach
Winkelmann die Griechen die menschliche Nase hiel¬
ten) kann nicht bald genug ausgerottet werden, weil
weder ein Hofmann noch ein Christ Zorn beweisen
soll. -- Zweitens: die kleinen Körper bekommen so
viel Witz wie bucklichte: aus den dicken Fässern un¬
serer Vorfahren zieht man geschickt den Spiritus
auf kleine Körper-Bouteillen und solche Einschnitte
und optische Verkürzungen und Kuren des Leibes
machen unfähig, etwas anders zu werden als witzig
oder höchstens stupid: so kann eine Flöte, in die
Risse kamen, keine andre Töne von sich geben als
seine und hohe. Witz wird aber bekanntlich in
der großen Welt wenn nicht mehr, doch eben so viel
geschätzt wie Unmoralitat. -- Drittens: wie die al¬
ten Patriarchen darum ein langes Leben bekamen,

um

daher freilich der große Konnor leicht verfechten
kann, ein auferſtandner Chriſt falle nicht groͤßer aus
wie eine Stechfliege — ſolcher Glieder hatte ſich die
amputirte Junto ſchon vor der Auferſtehung entla¬
den oder doch viel davon weg gethan.

Ich hab' oft daruͤber nachgedacht, warum thuns
die Großen und machen ſich zu Kleinen im phyſiſchen
Sinn; aber ich war zu dumm, andre Gruͤnde zu er¬
rathen als folgende: der Sitz des Zorns (wofuͤr nach
Winkelmann die Griechen die menſchliche Naſe hiel¬
ten) kann nicht bald genug ausgerottet werden, weil
weder ein Hofmann noch ein Chriſt Zorn beweiſen
ſoll. — Zweitens: die kleinen Koͤrper bekommen ſo
viel Witz wie bucklichte: aus den dicken Faͤſſern un¬
ſerer Vorfahren zieht man geſchickt den Spiritus
auf kleine Koͤrper-Bouteillen und ſolche Einſchnitte
und optiſche Verkuͤrzungen und Kuren des Leibes
machen unfaͤhig, etwas anders zu werden als witzig
oder hoͤchſtens ſtupid: ſo kann eine Floͤte, in die
Riſſe kamen, keine andre Toͤne von ſich geben als
ſeine und hohe. Witz wird aber bekanntlich in
der großen Welt wenn nicht mehr, doch eben ſo viel
geſchaͤtzt wie Unmoralitat. — Drittens: wie die al¬
ten Patriarchen darum ein langes Leben bekamen,

um
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="176"/>
daher freilich der große Konnor leicht verfechten<lb/>
kann, ein aufer&#x017F;tandner Chri&#x017F;t falle nicht gro&#x0364;ßer aus<lb/>
wie eine Stechfliege &#x2014; &#x017F;olcher Glieder hatte &#x017F;ich die<lb/>
amputirte Junto &#x017F;chon vor der Aufer&#x017F;tehung entla¬<lb/>
den oder doch viel davon weg gethan.</p><lb/>
          <p>Ich hab' oft daru&#x0364;ber nachgedacht, warum thuns<lb/>
die Großen und machen &#x017F;ich zu Kleinen im phy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Sinn; aber ich war zu dumm, andre Gru&#x0364;nde zu er¬<lb/>
rathen als folgende: der Sitz des Zorns (wofu&#x0364;r nach<lb/>
Winkelmann die Griechen die men&#x017F;chliche Na&#x017F;e hiel¬<lb/>
ten) kann nicht bald genug ausgerottet werden, weil<lb/>
weder ein Hofmann noch ein Chri&#x017F;t Zorn bewei&#x017F;en<lb/>
&#x017F;oll. &#x2014; Zweitens: die kleinen Ko&#x0364;rper bekommen &#x017F;o<lb/>
viel Witz wie bucklichte: aus den dicken Fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern un¬<lb/>
&#x017F;erer Vorfahren zieht man ge&#x017F;chickt den <hi rendition="#g">Spiritus</hi><lb/>
auf kleine Ko&#x0364;rper-Bouteillen und &#x017F;olche Ein&#x017F;chnitte<lb/>
und opti&#x017F;che Verku&#x0364;rzungen und <hi rendition="#g">Kuren</hi> des Leibes<lb/>
machen unfa&#x0364;hig, etwas anders zu werden als witzig<lb/>
oder ho&#x0364;ch&#x017F;tens &#x017F;tupid: &#x017F;o kann eine Flo&#x0364;te, in die<lb/><hi rendition="#g">Ri&#x017F;&#x017F;e</hi> kamen, keine andre To&#x0364;ne von &#x017F;ich geben als<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;eine</hi> und <hi rendition="#g">hohe</hi>. Witz wird aber bekanntlich in<lb/>
der großen Welt wenn nicht mehr, doch eben &#x017F;o viel<lb/>
ge&#x017F;cha&#x0364;tzt wie Unmoralitat. &#x2014; Drittens: wie die al¬<lb/>
ten Patriarchen darum ein <hi rendition="#g">langes</hi> Leben bekamen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">um<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0186] daher freilich der große Konnor leicht verfechten kann, ein auferſtandner Chriſt falle nicht groͤßer aus wie eine Stechfliege — ſolcher Glieder hatte ſich die amputirte Junto ſchon vor der Auferſtehung entla¬ den oder doch viel davon weg gethan. Ich hab' oft daruͤber nachgedacht, warum thuns die Großen und machen ſich zu Kleinen im phyſiſchen Sinn; aber ich war zu dumm, andre Gruͤnde zu er¬ rathen als folgende: der Sitz des Zorns (wofuͤr nach Winkelmann die Griechen die menſchliche Naſe hiel¬ ten) kann nicht bald genug ausgerottet werden, weil weder ein Hofmann noch ein Chriſt Zorn beweiſen ſoll. — Zweitens: die kleinen Koͤrper bekommen ſo viel Witz wie bucklichte: aus den dicken Faͤſſern un¬ ſerer Vorfahren zieht man geſchickt den Spiritus auf kleine Koͤrper-Bouteillen und ſolche Einſchnitte und optiſche Verkuͤrzungen und Kuren des Leibes machen unfaͤhig, etwas anders zu werden als witzig oder hoͤchſtens ſtupid: ſo kann eine Floͤte, in die Riſſe kamen, keine andre Toͤne von ſich geben als ſeine und hohe. Witz wird aber bekanntlich in der großen Welt wenn nicht mehr, doch eben ſo viel geſchaͤtzt wie Unmoralitat. — Drittens: wie die al¬ ten Patriarchen darum ein langes Leben bekamen, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/186
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/186>, abgerufen am 07.10.2024.