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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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lange Stralen über die ganze Halbkugel (denn mehr
ist auf einmal von Welt- und andern Kugeln nicht
zu beleuchten und dem ganzen Amerika fehlen un¬
sre Kiele) indeß wir doch den ersten Christen glei¬
chen, die das Licht womit sie, in Pech und Lein¬
wand eingeklemmt, als lebendige Pechfackeln über
Nero's Gärten schienen, zugleich mit ihrem Fett'
und Leben von sich gaben . . . .

"Und hier -- sagen Romanen-Manufakturisten
-- erfolgte eine Szene, die der Leser sich denken
ich aber nicht beschreiben kann." Das kömmt mir
viel zu dumm vor. Ich kanns auch nicht beschrei¬
ben, beschreib' es aber doch. Haben denn die an¬
dern Autoren nicht so viel Rechtschaffenheit, daß
sie bei einer Szene, nach der die Leser schon im
voraus geblättert haben, z. B. bei einem Todes¬
fall auf den alle, Eltern und Kinder lauern wie
auf einen Lehnfall oder Hängtag, nicht vom Ses¬
sel aufspringen und sagen: das macht selbst? Es
ist so als wenn die Schikanedrische Truppe vor den
verzerrendsten Auftritten des Lears an die Theater-
Küste gienge und das Publikum ersuchte, es möch¬
te sich Lears Gesicht denken, sie könntens nicht
nachbringen. -- Wahrhaftig was der Leser denken

lange Stralen uͤber die ganze Halbkugel (denn mehr
iſt auf einmal von Welt- und andern Kugeln nicht
zu beleuchten und dem ganzen Amerika fehlen un¬
ſre Kiele) indeß wir doch den erſten Chriſten glei¬
chen, die das Licht womit ſie, in Pech und Lein¬
wand eingeklemmt, als lebendige Pechfackeln uͤber
Nero's Gaͤrten ſchienen, zugleich mit ihrem Fett'
und Leben von ſich gaben . . . .

„Und hier — ſagen Romanen-Manufakturiſten
— erfolgte eine Szene, die der Leſer ſich denken
ich aber nicht beſchreiben kann.“ Das koͤmmt mir
viel zu dumm vor. Ich kanns auch nicht beſchrei¬
ben, beſchreib' es aber doch. Haben denn die an¬
dern Autoren nicht ſo viel Rechtſchaffenheit, daß
ſie bei einer Szene, nach der die Leſer ſchon im
voraus geblaͤttert haben, z. B. bei einem Todes¬
fall auf den alle, Eltern und Kinder lauern wie
auf einen Lehnfall oder Haͤngtag, nicht vom Seſ¬
ſel aufſpringen und ſagen: das macht ſelbſt? Es
iſt ſo als wenn die Schikanedriſche Truppe vor den
verzerrendſten Auftritten des Lears an die Theater-
Kuͤſte gienge und das Publikum erſuchte, es moͤch¬
te ſich Lears Geſicht denken, ſie koͤnntens nicht
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[133/0143] lange Stralen uͤber die ganze Halbkugel (denn mehr iſt auf einmal von Welt- und andern Kugeln nicht zu beleuchten und dem ganzen Amerika fehlen un¬ ſre Kiele) indeß wir doch den erſten Chriſten glei¬ chen, die das Licht womit ſie, in Pech und Lein¬ wand eingeklemmt, als lebendige Pechfackeln uͤber Nero's Gaͤrten ſchienen, zugleich mit ihrem Fett' und Leben von ſich gaben . . . . „Und hier — ſagen Romanen-Manufakturiſten — erfolgte eine Szene, die der Leſer ſich denken ich aber nicht beſchreiben kann.“ Das koͤmmt mir viel zu dumm vor. Ich kanns auch nicht beſchrei¬ ben, beſchreib' es aber doch. Haben denn die an¬ dern Autoren nicht ſo viel Rechtſchaffenheit, daß ſie bei einer Szene, nach der die Leſer ſchon im voraus geblaͤttert haben, z. B. bei einem Todes¬ fall auf den alle, Eltern und Kinder lauern wie auf einen Lehnfall oder Haͤngtag, nicht vom Seſ¬ ſel aufſpringen und ſagen: das macht ſelbſt? Es iſt ſo als wenn die Schikanedriſche Truppe vor den verzerrendſten Auftritten des Lears an die Theater- Kuͤſte gienge und das Publikum erſuchte, es moͤch¬ te ſich Lears Geſicht denken, ſie koͤnntens nicht nachbringen. — Wahrhaftig was der Leſer denken

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/143>, abgerufen am 22.11.2024.