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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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Garten zum Berg herüber lief, gleich andern Pha¬
länen ihren hellen Fenstern nach. Er sah nichts als
bald das Licht bald einen Kopf, der es verbauete;
aber diesen Kopf schmückte er im seinigen schöner aus
als irgend eine Frau den ihrigen. Er legte und
lehnte sich, halb kniend und halb stehend, mit dem
Blick gegen den langen Lichtstrom zugewandt, an das
Postement der Pyramide an -- Müdigkeit und schlaf¬
lose Nächte hatten seine Thränen-Drüsen mit jenen
drückenden und doch reizenden Thränen gefüllet, die
oft ohne Anlaß und so bitter und so süß kurz vor
Krankheiten oder nach Ermattungen ausströmen --
diese nämlichen zwei Ursachen breiteten zwischen ihm
und die äußere Welt gleichsam einen dunkeln Nebel¬
tag oder Heerauch; seine innere Welt hingegen wur¬
de aus einer Federzeichnung ohne seine An¬
strengung ein gleißendes Oelgemählde, dann ein
musivisches, endlich eines in erhobner Ar¬
beit
-- Welten und Scenen bewegten sich vor
ihm auf und ab -- endlich schloß der Traum die
ganze nächtliche Außenwelt mit seinen Angenliedern
zu und machte hinter ihnen eine neu geschafne para¬
diesische auf; gleich einem Todten lag sein schlum¬
mernder Körper neben einem Grabmal und sein Geist

Garten zum Berg heruͤber lief, gleich andern Pha¬
laͤnen ihren hellen Fenſtern nach. Er ſah nichts als
bald das Licht bald einen Kopf, der es verbauete;
aber dieſen Kopf ſchmuͤckte er im ſeinigen ſchoͤner aus
als irgend eine Frau den ihrigen. Er legte und
lehnte ſich, halb kniend und halb ſtehend, mit dem
Blick gegen den langen Lichtſtrom zugewandt, an das
Poſtement der Pyramide an — Muͤdigkeit und ſchlaf¬
loſe Naͤchte hatten ſeine Thraͤnen-Druͤſen mit jenen
druͤckenden und doch reizenden Thraͤnen gefuͤllet, die
oft ohne Anlaß und ſo bitter und ſo ſuͤß kurz vor
Krankheiten oder nach Ermattungen ausſtroͤmen —
dieſe naͤmlichen zwei Urſachen breiteten zwiſchen ihm
und die aͤußere Welt gleichſam einen dunkeln Nebel¬
tag oder Heerauch; ſeine innere Welt hingegen wur¬
de aus einer Federzeichnung ohne ſeine An¬
ſtrengung ein gleißendes Oelgemaͤhlde, dann ein
muſiviſches, endlich eines in erhobner Ar¬
beit
— Welten und Scenen bewegten ſich vor
ihm auf und ab — endlich ſchloß der Traum die
ganze naͤchtliche Außenwelt mit ſeinen Angenliedern
zu und machte hinter ihnen eine neu geſchafne para¬
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[119/0129] Garten zum Berg heruͤber lief, gleich andern Pha¬ laͤnen ihren hellen Fenſtern nach. Er ſah nichts als bald das Licht bald einen Kopf, der es verbauete; aber dieſen Kopf ſchmuͤckte er im ſeinigen ſchoͤner aus als irgend eine Frau den ihrigen. Er legte und lehnte ſich, halb kniend und halb ſtehend, mit dem Blick gegen den langen Lichtſtrom zugewandt, an das Poſtement der Pyramide an — Muͤdigkeit und ſchlaf¬ loſe Naͤchte hatten ſeine Thraͤnen-Druͤſen mit jenen druͤckenden und doch reizenden Thraͤnen gefuͤllet, die oft ohne Anlaß und ſo bitter und ſo ſuͤß kurz vor Krankheiten oder nach Ermattungen ausſtroͤmen — dieſe naͤmlichen zwei Urſachen breiteten zwiſchen ihm und die aͤußere Welt gleichſam einen dunkeln Nebel¬ tag oder Heerauch; ſeine innere Welt hingegen wur¬ de aus einer Federzeichnung ohne ſeine An¬ ſtrengung ein gleißendes Oelgemaͤhlde, dann ein muſiviſches, endlich eines in erhobner Ar¬ beit — Welten und Scenen bewegten ſich vor ihm auf und ab — endlich ſchloß der Traum die ganze naͤchtliche Außenwelt mit ſeinen Angenliedern zu und machte hinter ihnen eine neu geſchafne para¬ dieſiſche auf; gleich einem Todten lag ſein ſchlum¬ mernder Koͤrper neben einem Grabmal und ſein Geiſt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/129>, abgerufen am 24.11.2024.