Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

mit. . . . . Wo werden wir dich wiedersehen, un¬
bekannter schöner Schwärmer? Du erfährst es
nicht, wie dein verwaiseter Eleve Abends rufet und
schluchzet nach dir, und wie ihm der neue gestirnte
Himmel nicht so gefället, als seine Stubendecke
mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer
zur stillen Höhle ummalen, in der er dich geliebt
hatte und du ihn. Eben so bücken wir uns am
Lebens-Abend an alten Gräbern unsrer frühen
Freunde, die niemand bedauert als wir; bis end¬
lich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein
Jüngling beerdigt; aber keine einzige Seele erin¬
nert sich der schönen Jugend des letzten Greises! --

Am Morgen war er wieder gesund und froh;
die Sonne trocknete sein Auge aus, und das Nebel¬
bild seines Genius zog in der Hülle der letzten
Nacht, sich weit zurück. Es thut mir leid, daß
ichs seinen Jahren und seinem Karakter beizumes¬
sen habe, daß er, die Stunden der schmerzlichsten
Sehnsucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das
Bild eines Freundes durch nähere Bilder in den
Hintergrund zurückschieben ließ. Alle Blumen wa¬
ren jetzt Spielzeug für ihn, jedes Thier ein Spiel¬
kamerad und jeder Mensch ein Phönix: jede Him¬

mit. . . . . Wo werden wir dich wiederſehen, un¬
bekannter ſchoͤner Schwaͤrmer? Du erfaͤhrſt es
nicht, wie dein verwaiſeter Eleve Abends rufet und
ſchluchzet nach dir, und wie ihm der neue geſtirnte
Himmel nicht ſo gefaͤllet, als ſeine Stubendecke
mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer
zur ſtillen Hoͤhle ummalen, in der er dich geliebt
hatte und du ihn. Eben ſo buͤcken wir uns am
Lebens-Abend an alten Graͤbern unſrer fruͤhen
Freunde, die niemand bedauert als wir; bis end¬
lich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein
Juͤngling beerdigt; aber keine einzige Seele erin¬
nert ſich der ſchoͤnen Jugend des letzten Greiſes! —

Am Morgen war er wieder geſund und froh;
die Sonne trocknete ſein Auge aus, und das Nebel¬
bild ſeines Genius zog in der Huͤlle der letzten
Nacht, ſich weit zuruͤck. Es thut mir leid, daß
ichs ſeinen Jahren und ſeinem Karakter beizumeſ¬
ſen habe, daß er, die Stunden der ſchmerzlichſten
Sehnſucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das
Bild eines Freundes durch naͤhere Bilder in den
Hintergrund zuruͤckſchieben ließ. Alle Blumen wa¬
ren jetzt Spielzeug fuͤr ihn, jedes Thier ein Spiel¬
kamerad und jeder Menſch ein Phoͤnix: jede Him¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="63"/>
mit. . . . . Wo werden wir dich wieder&#x017F;ehen, un¬<lb/>
bekannter &#x017F;cho&#x0364;ner Schwa&#x0364;rmer? Du erfa&#x0364;hr&#x017F;t es<lb/>
nicht, wie dein verwai&#x017F;eter Eleve Abends rufet und<lb/>
&#x017F;chluchzet nach dir, und wie ihm der neue ge&#x017F;tirnte<lb/>
Himmel nicht &#x017F;o gefa&#x0364;llet, als &#x017F;eine Stubendecke<lb/>
mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer<lb/>
zur &#x017F;tillen Ho&#x0364;hle ummalen, in der er dich geliebt<lb/>
hatte und du ihn. Eben &#x017F;o bu&#x0364;cken wir uns am<lb/>
Lebens-Abend an alten Gra&#x0364;bern un&#x017F;rer fru&#x0364;hen<lb/>
Freunde, die niemand bedauert als wir; bis end¬<lb/>
lich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein<lb/>
Ju&#x0364;ngling beerdigt; aber keine einzige Seele erin¬<lb/>
nert &#x017F;ich der &#x017F;cho&#x0364;nen Jugend des letzten Grei&#x017F;es! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Am Morgen war er wieder ge&#x017F;und und froh;<lb/>
die Sonne trocknete &#x017F;ein Auge aus, und das Nebel¬<lb/>
bild &#x017F;eines Genius zog in der Hu&#x0364;lle der letzten<lb/>
Nacht, &#x017F;ich weit zuru&#x0364;ck. Es thut mir leid, daß<lb/>
ichs &#x017F;einen Jahren und &#x017F;einem Karakter beizume&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en habe, daß er, die Stunden der &#x017F;chmerzlich&#x017F;ten<lb/>
Sehn&#x017F;ucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das<lb/>
Bild eines Freundes durch na&#x0364;here Bilder in den<lb/>
Hintergrund zuru&#x0364;ck&#x017F;chieben ließ. Alle Blumen wa¬<lb/>
ren jetzt Spielzeug fu&#x0364;r ihn, jedes Thier ein Spiel¬<lb/>
kamerad und jeder Men&#x017F;ch ein Pho&#x0364;nix: jede Him¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0099] mit. . . . . Wo werden wir dich wiederſehen, un¬ bekannter ſchoͤner Schwaͤrmer? Du erfaͤhrſt es nicht, wie dein verwaiſeter Eleve Abends rufet und ſchluchzet nach dir, und wie ihm der neue geſtirnte Himmel nicht ſo gefaͤllet, als ſeine Stubendecke mit dir, und wie ihm die Lichtkerzen jedes Zimmer zur ſtillen Hoͤhle ummalen, in der er dich geliebt hatte und du ihn. Eben ſo buͤcken wir uns am Lebens-Abend an alten Graͤbern unſrer fruͤhen Freunde, die niemand bedauert als wir; bis end¬ lich den letzten Greis aus dem liebenden Zirkel ein Juͤngling beerdigt; aber keine einzige Seele erin¬ nert ſich der ſchoͤnen Jugend des letzten Greiſes! — Am Morgen war er wieder geſund und froh; die Sonne trocknete ſein Auge aus, und das Nebel¬ bild ſeines Genius zog in der Huͤlle der letzten Nacht, ſich weit zuruͤck. Es thut mir leid, daß ichs ſeinen Jahren und ſeinem Karakter beizumeſ¬ ſen habe, daß er, die Stunden der ſchmerzlichſten Sehnſucht ausgenommen, ein wenig zu leicht das Bild eines Freundes durch naͤhere Bilder in den Hintergrund zuruͤckſchieben ließ. Alle Blumen wa¬ ren jetzt Spielzeug fuͤr ihn, jedes Thier ein Spiel¬ kamerad und jeder Menſch ein Phoͤnix: jede Him¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/99
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/99>, abgerufen am 24.11.2024.