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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Und so floß beiden ihr Leben sanft in der Ka¬
takombe wie eine Quelle davon: der Kleine war
glücklich: denn seine Wünsche langten nicht über
seine Kenntnisse hinaus und weder Zank noch
Furcht rissen seine stille Seele auseinander. Der
Genius war glücklich: denn die Ausführung die¬
ses zehnjährigen Baues wurd' ihm leichter als der
Entschluß desselben; der Entschluß drängt alle
Schwierigkeiten und Entbehrungen auf einmal vor
die Seele. die Ausführung aber stellet sie weit aus¬
einander und giebt uns erst das Interesse davon
durch die sonderbare Freude, ohne die man's bei
tausend Dingen nicht ausdauerte -- etwas unter
seinen Händen täglich wachsen sehen.

Für beide Menschen war es gut, daß unten
in diesem moralischen Treibhaus ein Schulkamme¬
rad des Gustavs mit wohnte, der zugleich ein hal¬
ber Kollaborator und Adjunktus des Genius war,
und der von der ganzen Erziehung wegen gewissen
Mängeln seines Herzens nur schlechten Vortheil
zog, ob er gleich so gut wie Gustav zu den Thieren
mit zwei Herzkammern und mit warmen Blute
gehörte -- wenn ich sage, daß der gröste Fehler
des Vikarius war, daß er keinen Branntewein

Und ſo floß beiden ihr Leben ſanft in der Ka¬
takombe wie eine Quelle davon: der Kleine war
gluͤcklich: denn ſeine Wuͤnſche langten nicht uͤber
ſeine Kenntniſſe hinaus und weder Zank noch
Furcht riſſen ſeine ſtille Seele auseinander. Der
Genius war gluͤcklich: denn die Ausfuͤhrung die¬
ſes zehnjaͤhrigen Baues wurd' ihm leichter als der
Entſchluß deſſelben; der Entſchluß draͤngt alle
Schwierigkeiten und Entbehrungen auf einmal vor
die Seele. die Ausfuͤhrung aber ſtellet ſie weit aus¬
einander und giebt uns erſt das Intereſſe davon
durch die ſonderbare Freude, ohne die man's bei
tauſend Dingen nicht ausdauerte — etwas unter
ſeinen Haͤnden taͤglich wachſen ſehen.

Fuͤr beide Menſchen war es gut, daß unten
in dieſem moraliſchen Treibhaus ein Schulkamme¬
rad des Guſtavs mit wohnte, der zugleich ein hal¬
ber Kollaborator und Adjunktus des Genius war,
und der von der ganzen Erziehung wegen gewiſſen
Maͤngeln ſeines Herzens nur ſchlechten Vortheil
zog, ob er gleich ſo gut wie Guſtav zu den Thieren
mit zwei Herzkammern und mit warmen Blute
gehoͤrte — wenn ich ſage, daß der groͤſte Fehler
des Vikarius war, daß er keinen Branntewein

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[46/0082] Und ſo floß beiden ihr Leben ſanft in der Ka¬ takombe wie eine Quelle davon: der Kleine war gluͤcklich: denn ſeine Wuͤnſche langten nicht uͤber ſeine Kenntniſſe hinaus und weder Zank noch Furcht riſſen ſeine ſtille Seele auseinander. Der Genius war gluͤcklich: denn die Ausfuͤhrung die¬ ſes zehnjaͤhrigen Baues wurd' ihm leichter als der Entſchluß deſſelben; der Entſchluß draͤngt alle Schwierigkeiten und Entbehrungen auf einmal vor die Seele. die Ausfuͤhrung aber ſtellet ſie weit aus¬ einander und giebt uns erſt das Intereſſe davon durch die ſonderbare Freude, ohne die man's bei tauſend Dingen nicht ausdauerte — etwas unter ſeinen Haͤnden taͤglich wachſen ſehen. Fuͤr beide Menſchen war es gut, daß unten in dieſem moraliſchen Treibhaus ein Schulkamme¬ rad des Guſtavs mit wohnte, der zugleich ein hal¬ ber Kollaborator und Adjunktus des Genius war, und der von der ganzen Erziehung wegen gewiſſen Maͤngeln ſeines Herzens nur ſchlechten Vortheil zog, ob er gleich ſo gut wie Guſtav zu den Thieren mit zwei Herzkammern und mit warmen Blute gehoͤrte — wenn ich ſage, daß der groͤſte Fehler des Vikarius war, daß er keinen Branntewein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/82>, abgerufen am 21.11.2024.