te Edelsteine, zerbrochen hätten; schon eine frem¬ de sündigende Physiognomie klemmte seine Brust schmerzhaft ein, wie der Saphyr am Finger des Unkeuschen erblasset. Dennoch ist seine vieljährige Aufopferung für Gustav schwer und groß; "er habe "aber Motiven dazu, sagt' er, die er niemand sa¬ "gen würde als einst seinem Gustav selber." Feine Leser, die weit denken, werden hoff' ich sich anstel¬ len als fänden sie einen solchen pädagogischen He¬ roismus recht natürlich. Die Tugend der meisten Menschen ist nur ein Extrablatt und Gelegenheits¬ gedicht in ihrem Altagsleben; allein zwei, drei Ge¬ nien sind doch vorhanden, in deren epischem Leben die Tugend die Heldin und alles Uebrige Neben¬ partie und Episode ist, und deren Kulmination vom Volk mehr angestaunet als bewundert werden kann.
Die ersten dunkeln Jahre lebte Gustav mit sei¬ nem Schutzengel noch in einem überirrdischen Zim¬ mer, er trennte ihn bloß von den schlimmsten Kip¬ perinnen und Wipperinnen der Menschheit, denen wir eben so viele lahme Beine, als lahme Herzen zu danken haben -- Mägden und Ammen. Ich wollte lieber, diese Bestien erzögen uns im zweiten Jahrzehend als im zweiten Jahr.
te Edelſteine, zerbrochen haͤtten; ſchon eine frem¬ de ſuͤndigende Phyſiognomie klemmte ſeine Bruſt ſchmerzhaft ein, wie der Saphyr am Finger des Unkeuſchen erblaſſet. Dennoch iſt ſeine vieljaͤhrige Aufopferung fuͤr Guſtav ſchwer und groß; „er habe „aber Motiven dazu, ſagt' er, die er niemand ſa¬ „gen wuͤrde als einſt ſeinem Guſtav ſelber.“ Feine Leſer, die weit denken, werden hoff' ich ſich anſtel¬ len als faͤnden ſie einen ſolchen paͤdagogiſchen He¬ roiſmus recht natuͤrlich. Die Tugend der meiſten Menſchen iſt nur ein Extrablatt und Gelegenheits¬ gedicht in ihrem Altagsleben; allein zwei, drei Ge¬ nien ſind doch vorhanden, in deren epiſchem Leben die Tugend die Heldin und alles Uebrige Neben¬ partie und Epiſode iſt, und deren Kulmination vom Volk mehr angeſtaunet als bewundert werden kann.
Die erſten dunkeln Jahre lebte Guſtav mit ſei¬ nem Schutzengel noch in einem uͤberirrdiſchen Zim¬ mer, er trennte ihn bloß von den ſchlimmſten Kip¬ perinnen und Wipperinnen der Menſchheit, denen wir eben ſo viele lahme Beine, als lahme Herzen zu danken haben — Maͤgden und Ammen. Ich wollte lieber, dieſe Beſtien erzoͤgen uns im zweiten Jahrzehend als im zweiten Jahr.
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te Edelſteine, zerbrochen haͤtten; ſchon eine frem¬
de ſuͤndigende Phyſiognomie klemmte ſeine Bruſt
ſchmerzhaft ein, wie der Saphyr am Finger des
Unkeuſchen erblaſſet. Dennoch iſt ſeine vieljaͤhrige
Aufopferung fuͤr Guſtav ſchwer und groß; „er habe
„aber Motiven dazu, ſagt' er, die er niemand ſa¬
„gen wuͤrde als einſt ſeinem Guſtav ſelber.“ Feine
Leſer, die weit denken, werden hoff' ich ſich anſtel¬
len als faͤnden ſie einen ſolchen paͤdagogiſchen He¬
roiſmus recht natuͤrlich. Die Tugend der meiſten
Menſchen iſt nur ein Extrablatt und Gelegenheits¬
gedicht in ihrem Altagsleben; allein zwei, drei Ge¬
nien ſind doch vorhanden, in deren epiſchem Leben
die Tugend die Heldin und alles Uebrige Neben¬
partie und Epiſode iſt, und deren Kulmination vom
Volk mehr angeſtaunet als bewundert werden
kann.
Die erſten dunkeln Jahre lebte Guſtav mit ſei¬
nem Schutzengel noch in einem uͤberirrdiſchen Zim¬
mer, er trennte ihn bloß von den ſchlimmſten Kip¬
perinnen und Wipperinnen der Menſchheit, denen
wir eben ſo viele lahme Beine, als lahme Herzen
zu danken haben — Maͤgden und Ammen. Ich
wollte lieber, dieſe Beſtien erzoͤgen uns im zweiten
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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