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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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selber und erfuhr es selber. Daher klagte der Ope¬
rateur und Ohren-Magnetiseur, es sei schwer,
eine Schöne zu kurieren und doch nicht zu lieben
und seine erste Patientin hab' ihn beinahe zu ei¬
nem Patienten gemacht. Gegen den Doktor hab'
ich nichts; er sei immer ein Kosmopolit in der
Liebe -- aber, Schwester, ich wollte, du wärest
schon zu Bette, weil ich keine Minute, in der
ich nur drei Schritte auf- und abthue, sicher bin,
daß du nicht in mein Manuskript schielest und lie¬
sest was ich an dir tadle? -- ach ich tadle weni¬
ger als ich bedauere deine so niedlich um fremden
und eignen Kummer spielende Laune und dein aus
den weichsten Fiebern gesponnenes Herz, daß die
blanke Krone scheuer Weiblichkeit, die alle
diese Vorzüge erst putzt und hebt, in den volkrei¬
chen Zimmern der Residentin ein wenig schwärzlich
angelaufen ist wie Silber im sumpfigen Holland
und daß deiner Tugend, der nichts fehlet, die
Gestallt der Tugend fehlt! -- o Eltern! euere
Jungen machen sich in der Hölle kaum schwarz;
aber für euere Töchter und ihren schneeweißen
Anzug ist kaum der Himmel gescheuert und sauber
genug!

ſelber und erfuhr es ſelber. Daher klagte der Ope¬
rateur und Ohren-Magnetiſeur, es ſei ſchwer,
eine Schoͤne zu kurieren und doch nicht zu lieben
und ſeine erſte Patientin hab' ihn beinahe zu ei¬
nem Patienten gemacht. Gegen den Doktor hab'
ich nichts; er ſei immer ein Kosmopolit in der
Liebe — aber, Schweſter, ich wollte, du waͤreſt
ſchon zu Bette, weil ich keine Minute, in der
ich nur drei Schritte auf- und abthue, ſicher bin,
daß du nicht in mein Manuſkript ſchieleſt und lie¬
ſeſt was ich an dir tadle? — ach ich tadle weni¬
ger als ich bedauere deine ſo niedlich um fremden
und eignen Kummer ſpielende Laune und dein aus
den weichſten Fiebern geſponnenes Herz, daß die
blanke Krone ſcheuer Weiblichkeit, die alle
dieſe Vorzuͤge erſt putzt und hebt, in den volkrei¬
chen Zimmern der Reſidentin ein wenig ſchwaͤrzlich
angelaufen iſt wie Silber im ſumpfigen Holland
und daß deiner Tugend, der nichts fehlet, die
Geſtallt der Tugend fehlt! — o Eltern! euere
Jungen machen ſich in der Hoͤlle kaum ſchwarz;
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Anzug iſt kaum der Himmel geſcheuert und ſauber
genug!

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[390/0426] ſelber und erfuhr es ſelber. Daher klagte der Ope¬ rateur und Ohren-Magnetiſeur, es ſei ſchwer, eine Schoͤne zu kurieren und doch nicht zu lieben und ſeine erſte Patientin hab' ihn beinahe zu ei¬ nem Patienten gemacht. Gegen den Doktor hab' ich nichts; er ſei immer ein Kosmopolit in der Liebe — aber, Schweſter, ich wollte, du waͤreſt ſchon zu Bette, weil ich keine Minute, in der ich nur drei Schritte auf- und abthue, ſicher bin, daß du nicht in mein Manuſkript ſchieleſt und lie¬ ſeſt was ich an dir tadle? — ach ich tadle weni¬ ger als ich bedauere deine ſo niedlich um fremden und eignen Kummer ſpielende Laune und dein aus den weichſten Fiebern geſponnenes Herz, daß die blanke Krone ſcheuer Weiblichkeit, die alle dieſe Vorzuͤge erſt putzt und hebt, in den volkrei¬ chen Zimmern der Reſidentin ein wenig ſchwaͤrzlich angelaufen iſt wie Silber im ſumpfigen Holland und daß deiner Tugend, der nichts fehlet, die Geſtallt der Tugend fehlt! — o Eltern! euere Jungen machen ſich in der Hoͤlle kaum ſchwarz; aber fuͤr euere Toͤchter und ihren ſchneeweißen Anzug iſt kaum der Himmel geſcheuert und ſauber genug!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/426>, abgerufen am 06.05.2024.