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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Diese Punkte stellen verrollte Zeitpunkte vor.
Jezt sind die Blinden heil, die Lahmen gehen,
die Tauben hören -- wach ist nämlich alles: un¬
ter meinen Füßen zerhämmert der Schuhldiener
schon den Sonntagszucker, meine Schwester hat
mich schon viermal ausgelacht, der Senior Setz¬
mann hat schon aus seinem Fenster meinem Haus¬
herrn die nöthigsten heutigen Religionsedikte zu¬
gepfiffen, die Uhr ist wie Hiskias Sonnenuhr, von
der Wunderkraft des dekretirenden Pfeifens eine
Stunde zurückgegangen und ich kann eine länger
schreiben, bin aber dadurch mit meinem Pinsel
aus meinem Morgen-Gemählde gekommen. Die
Sonne steht meinem Gesichte gegenüber und macht
mein biographisches Papier zu einem blanken Mo¬
sis Angesicht; daher ists mein Glück, daß ich ein
Federmesser und Baiern oder Spanien oder das Je¬
suiter-Deutschland nehme -- nämlich Homanni¬
sche Karten davon -- und mit dem Messer diese
Länder über meinem Fenster aufnagele und ein¬
pfähle: ein solches Land hält allemal die Mor¬
gensonne
so gut ab und wirft so viel Schat¬
ten
herüber als hätt' ich die Tändelschürze oder
das Pallium eines Fenstervorhangs d'ran.

Dieſe Punkte ſtellen verrollte Zeitpunkte vor.
Jezt ſind die Blinden heil, die Lahmen gehen,
die Tauben hoͤren — wach iſt naͤmlich alles: un¬
ter meinen Fuͤßen zerhaͤmmert der Schuhldiener
ſchon den Sonntagszucker, meine Schweſter hat
mich ſchon viermal ausgelacht, der Senior Setz¬
mann hat ſchon aus ſeinem Fenſter meinem Haus¬
herrn die noͤthigſten heutigen Religionsedikte zu¬
gepfiffen, die Uhr iſt wie Hiſkias Sonnenuhr, von
der Wunderkraft des dekretirenden Pfeifens eine
Stunde zuruͤckgegangen und ich kann eine laͤnger
ſchreiben, bin aber dadurch mit meinem Pinſel
aus meinem Morgen-Gemaͤhlde gekommen. Die
Sonne ſteht meinem Geſichte gegenuͤber und macht
mein biographiſches Papier zu einem blanken Mo¬
ſis Angeſicht; daher iſts mein Gluͤck, daß ich ein
Federmeſſer und Baiern oder Spanien oder das Je¬
ſuiter-Deutſchland nehme — naͤmlich Homanni¬
ſche Karten davon — und mit dem Meſſer dieſe
Laͤnder uͤber meinem Fenſter aufnagele und ein¬
pfaͤhle: ein ſolches Land haͤlt allemal die Mor¬
genſonne
ſo gut ab und wirft ſo viel Schat¬
ten
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[381/0417] Dieſe Punkte ſtellen verrollte Zeitpunkte vor. Jezt ſind die Blinden heil, die Lahmen gehen, die Tauben hoͤren — wach iſt naͤmlich alles: un¬ ter meinen Fuͤßen zerhaͤmmert der Schuhldiener ſchon den Sonntagszucker, meine Schweſter hat mich ſchon viermal ausgelacht, der Senior Setz¬ mann hat ſchon aus ſeinem Fenſter meinem Haus¬ herrn die noͤthigſten heutigen Religionsedikte zu¬ gepfiffen, die Uhr iſt wie Hiſkias Sonnenuhr, von der Wunderkraft des dekretirenden Pfeifens eine Stunde zuruͤckgegangen und ich kann eine laͤnger ſchreiben, bin aber dadurch mit meinem Pinſel aus meinem Morgen-Gemaͤhlde gekommen. Die Sonne ſteht meinem Geſichte gegenuͤber und macht mein biographiſches Papier zu einem blanken Mo¬ ſis Angeſicht; daher iſts mein Gluͤck, daß ich ein Federmeſſer und Baiern oder Spanien oder das Je¬ ſuiter-Deutſchland nehme — naͤmlich Homanni¬ ſche Karten davon — und mit dem Meſſer dieſe Laͤnder uͤber meinem Fenſter aufnagele und ein¬ pfaͤhle: ein ſolches Land haͤlt allemal die Mor¬ genſonne ſo gut ab und wirft ſo viel Schat¬ ten heruͤber als haͤtt' ich die Taͤndelſchuͤrze oder das Pallium eines Fenſtervorhangs d'ran.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/417>, abgerufen am 07.05.2024.