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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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ferenzialrechnung zehnmal besser als ein elender --
und ein guter Differenzialrechenmeister versteht sich
so gut als einer aufs Deployren und Schwenken *)
und kann mithin seine Kompagnie (und seine Frau
vollends) zu jeder Stunde kommandiren -- und
warum sollte man einem so geschickten, so erfahr¬
nen Offizier seine einzige Tochter nicht geben?" --
Der Leser hätte sich gewiß sogleich ans Schachbrett
hingesetzt und gedacht, der Zug einer solchen Quin¬
terne aus dem Brette wie die Tochter eines Obrist¬
forstmeisters ist, sei ja ausserordentlich leicht; aber
er ist verdammt schwer, wenn der Vater selbst hin¬
ter dem Stuhle passet und der Tochter jeden Zug
angiebt, womit sie ihren König und ihre Tugend
gegen den Leser decken soll.

Wer's hörte, begriff gar nicht warum die Frau
Obristforstmeisterin die lange Gesellschaftsdame ei¬

*) Das wüßt' er nicht, wenn ers nicht aus den neuen Tak¬
tikern, Hrn. Hahn und Hrn. Müller hätte, die den
jungen Offizier die Differenzialrechnung lehren, damit es
ihm nicht schwer werde, mitten im Treffen beim Deploy¬
ren und Schwenken den Grundwinkel herauszurechnen. --
Eben so hab' ich hundertmal ein Buch schreiben und darin
die armen visirenden Billardspieler in den Stand setzen
wollen, bloß nach einigen Auflösungen aus der Mechanik
und höheren Mathesis mit zugemachten Augen zu stoßen.
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ferenzialrechnung zehnmal beſſer als ein elender —
und ein guter Differenzialrechenmeiſter verſteht ſich
ſo gut als einer aufs Deployren und Schwenken *)
und kann mithin ſeine Kompagnie (und ſeine Frau
vollends) zu jeder Stunde kommandiren — und
warum ſollte man einem ſo geſchickten, ſo erfahr¬
nen Offizier ſeine einzige Tochter nicht geben?“ —
Der Leſer haͤtte ſich gewiß ſogleich ans Schachbrett
hingeſetzt und gedacht, der Zug einer ſolchen Quin¬
terne aus dem Brette wie die Tochter eines Obriſt¬
forſtmeiſters iſt, ſei ja auſſerordentlich leicht; aber
er iſt verdammt ſchwer, wenn der Vater ſelbſt hin¬
ter dem Stuhle paſſet und der Tochter jeden Zug
angiebt, womit ſie ihren Koͤnig und ihre Tugend
gegen den Leſer decken ſoll.

Wer's hoͤrte, begriff gar nicht warum die Frau
Obriſtforſtmeiſterin die lange Geſellſchaftsdame ei¬

*) Das wüßt' er nicht, wenn ers nicht aus den neuen Tak¬
tikern, Hrn. Hahn und Hrn. Müller hätte, die den
jungen Offizier die Differenzialrechnung lehren, damit es
ihm nicht ſchwer werde, mitten im Treffen beim Deploy¬
ren und Schwenken den Grundwinkel herauszurechnen. —
Eben ſo hab' ich hundertmal ein Buch ſchreiben und darin
die armen viſirenden Billardſpieler in den Stand ſetzen
wollen, bloß nach einigen Auflöſungen aus der Mechanik
und höheren Matheſis mit zugemachten Augen zu ſtoßen.
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[3/0039] ferenzialrechnung zehnmal beſſer als ein elender — und ein guter Differenzialrechenmeiſter verſteht ſich ſo gut als einer aufs Deployren und Schwenken *) und kann mithin ſeine Kompagnie (und ſeine Frau vollends) zu jeder Stunde kommandiren — und warum ſollte man einem ſo geſchickten, ſo erfahr¬ nen Offizier ſeine einzige Tochter nicht geben?“ — Der Leſer haͤtte ſich gewiß ſogleich ans Schachbrett hingeſetzt und gedacht, der Zug einer ſolchen Quin¬ terne aus dem Brette wie die Tochter eines Obriſt¬ forſtmeiſters iſt, ſei ja auſſerordentlich leicht; aber er iſt verdammt ſchwer, wenn der Vater ſelbſt hin¬ ter dem Stuhle paſſet und der Tochter jeden Zug angiebt, womit ſie ihren Koͤnig und ihre Tugend gegen den Leſer decken ſoll. Wer's hoͤrte, begriff gar nicht warum die Frau Obriſtforſtmeiſterin die lange Geſellſchaftsdame ei¬ *) Das wüßt' er nicht, wenn ers nicht aus den neuen Tak¬ tikern, Hrn. Hahn und Hrn. Müller hätte, die den jungen Offizier die Differenzialrechnung lehren, damit es ihm nicht ſchwer werde, mitten im Treffen beim Deploy¬ ren und Schwenken den Grundwinkel herauszurechnen. — Eben ſo hab' ich hundertmal ein Buch ſchreiben und darin die armen viſirenden Billardſpieler in den Stand ſetzen wollen, bloß nach einigen Auflöſungen aus der Mechanik und höheren Matheſis mit zugemachten Augen zu ſtoßen. A 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/39>, abgerufen am 27.04.2024.