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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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seln blickt, wo jede Blume auf ihrem grünen
Welttheilgen einsam zittert und ihr kein Verwand¬
ter entgegen schwankt als ihr gemahlter Schatten
im Wasser -- drückt euch die Hände, wenn euere
Augen fallen auf das Schattenreich, wo heu¬
te Licht und Schatten wie Leben und Schlafen ne¬
ben einander und in einander zitternd flatterten
bis die schwarze Schattenfluth jezt über allem was
an der Erde blinket steht und den Tod nachspielt
-- und wenn ihr an des stummen Kabinets
dreifachen Gitter Alphörner und Aeolsharfen lehnen
sehet: so müssen euere Seelen die Harmonien im
Einklang nachbeben. . . . Es ist eine elende rheto¬
rische Figur, die ich aufstelle, daß ich hier so lan¬
ge an- und zugeredet habe: sind denn nicht die
zwei Freunde in einem größern Enthusiasmus als
ich selbst? ist nicht Amandus über freundschaftliche
Eifersucht emporgehoben und hält eigenhändig das
heutige angeredete Portrait des unbekannten Gu¬
stavischen Freundes vor sich hin und sagt: "Du
könntest der Dritte seyn?" ja legt er nicht in der
Begeisterung das Portrait ins Graß, um mit der
linken Hand Gustaven zu fassen und mit der rech¬
ten auf ein Zimmer des neuen Schlosses zu deuten

ſeln blickt, wo jede Blume auf ihrem gruͤnen
Welttheilgen einſam zittert und ihr kein Verwand¬
ter entgegen ſchwankt als ihr gemahlter Schatten
im Waſſer — druͤckt euch die Haͤnde, wenn euere
Augen fallen auf das Schattenreich, wo heu¬
te Licht und Schatten wie Leben und Schlafen ne¬
ben einander und in einander zitternd flatterten
bis die ſchwarze Schattenfluth jezt uͤber allem was
an der Erde blinket ſteht und den Tod nachſpielt
— und wenn ihr an des ſtummen Kabinets
dreifachen Gitter Alphoͤrner und Aeolsharfen lehnen
ſehet: ſo muͤſſen euere Seelen die Harmonien im
Einklang nachbeben. . . . Es iſt eine elende rheto¬
riſche Figur, die ich aufſtelle, daß ich hier ſo lan¬
ge an- und zugeredet habe: ſind denn nicht die
zwei Freunde in einem groͤßern Enthuſiaſmus als
ich ſelbſt? iſt nicht Amandus uͤber freundſchaftliche
Eiferſucht emporgehoben und haͤlt eigenhaͤndig das
heutige angeredete Portrait des unbekannten Gu¬
ſtaviſchen Freundes vor ſich hin und ſagt: „Du
koͤnnteſt der Dritte ſeyn? ja legt er nicht in der
Begeiſterung das Portrait ins Graß, um mit der
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ten auf ein Zimmer des neuen Schloſſes zu deuten

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[331/0367] ſeln blickt, wo jede Blume auf ihrem gruͤnen Welttheilgen einſam zittert und ihr kein Verwand¬ ter entgegen ſchwankt als ihr gemahlter Schatten im Waſſer — druͤckt euch die Haͤnde, wenn euere Augen fallen auf das Schattenreich, wo heu¬ te Licht und Schatten wie Leben und Schlafen ne¬ ben einander und in einander zitternd flatterten bis die ſchwarze Schattenfluth jezt uͤber allem was an der Erde blinket ſteht und den Tod nachſpielt — und wenn ihr an des ſtummen Kabinets dreifachen Gitter Alphoͤrner und Aeolsharfen lehnen ſehet: ſo muͤſſen euere Seelen die Harmonien im Einklang nachbeben. . . . Es iſt eine elende rheto¬ riſche Figur, die ich aufſtelle, daß ich hier ſo lan¬ ge an- und zugeredet habe: ſind denn nicht die zwei Freunde in einem groͤßern Enthuſiaſmus als ich ſelbſt? iſt nicht Amandus uͤber freundſchaftliche Eiferſucht emporgehoben und haͤlt eigenhaͤndig das heutige angeredete Portrait des unbekannten Gu¬ ſtaviſchen Freundes vor ſich hin und ſagt: „Du koͤnnteſt der Dritte ſeyn?“ ja legt er nicht in der Begeiſterung das Portrait ins Graß, um mit der linken Hand Guſtaven zu faſſen und mit der rech¬ ten auf ein Zimmer des neuen Schloſſes zu deuten

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/367>, abgerufen am 22.05.2024.