che wars, daß Amandus mit größerer Theilnahme eine heraus geweinte als eine hervorgelachte Thrä¬ ne aus dem geliebten fremden Auge wischte: er kam deswegen, um sich das Interesse an fremden Kummer zu verlängern, noch einmal auf die Sa¬ che und that die zufällige Frage, wo mein Held die übrigen fünf Tage war. Gustav überhört' es ängstlich und roth -- jener drang heftiger an -- dieser umfaßte ihn noch heftiger und sagte: "fra¬ ge mich nicht, du quälest dich nur" -- Amandus, dessen hysterisches Gefühl nicht so fein als konvulsi¬ visch war, feuerte sich erst damit an -- Gustavs Herz war innigst bewegt und daraus kamen die Worte: "o! Lieber, du kannst es nie erfahren, von mir nie" -- Amandus war wie alle Schwache leicht zur Eifersucht in Freundschaft und Liebe ge¬ neigt und stellte sich beleidigt ans Fenster -- Gu¬ stav, heute nachgiebiger und wärmer durch das Bewustseyn seiner neuesten Vergehung in der Korn- Anklage, gieng hin zu ihm und sagte mit nassen Augen: "hätt, ich nur keinen Eid gethan, [...]nichts zu sagen" -- Aber an Amandus Seele waren nicht alle Stellen mit jenem feinen Ehrgefühl bekleidet, an dem Wort- und Eidbruch fressender Höllenstein
che wars, daß Amandus mit groͤßerer Theilnahme eine heraus geweinte als eine hervorgelachte Thraͤ¬ ne aus dem geliebten fremden Auge wiſchte: er kam deswegen, um ſich das Intereſſe an fremden Kummer zu verlaͤngern, noch einmal auf die Sa¬ che und that die zufaͤllige Frage, wo mein Held die uͤbrigen fuͤnf Tage war. Guſtav uͤberhoͤrt' es aͤngſtlich und roth — jener drang heftiger an — dieſer umfaßte ihn noch heftiger und ſagte: „fra¬ ge mich nicht, du quaͤleſt dich nur“ — Amandus, deſſen hyſteriſches Gefuͤhl nicht ſo fein als konvulſi¬ viſch war, feuerte ſich erſt damit an — Guſtavs Herz war innigſt bewegt und daraus kamen die Worte: „o! Lieber, du kannſt es nie erfahren, von mir nie“ — Amandus war wie alle Schwache leicht zur Eiferſucht in Freundſchaft und Liebe ge¬ neigt und ſtellte ſich beleidigt ans Fenſter — Gu¬ ſtav, heute nachgiebiger und waͤrmer durch das Bewuſtſeyn ſeiner neueſten Vergehung in der Korn- Anklage, gieng hin zu ihm und ſagte mit naſſen Augen: „haͤtt, ich nur keinen Eid gethan, […]nichts zu ſagen“ — Aber an Amandus Seele waren nicht alle Stellen mit jenem feinen Ehrgefuͤhl bekleidet, an dem Wort- und Eidbruch freſſender Hoͤllenſtein
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che wars, daß Amandus mit groͤßerer Theilnahme
eine heraus geweinte als eine hervorgelachte Thraͤ¬
ne aus dem geliebten fremden Auge wiſchte: er
kam deswegen, um ſich das Intereſſe an fremden
Kummer zu verlaͤngern, noch einmal auf die Sa¬
che und that die zufaͤllige Frage, wo mein Held
die uͤbrigen fuͤnf Tage war. Guſtav uͤberhoͤrt' es
aͤngſtlich und roth — jener drang heftiger an —
dieſer umfaßte ihn noch heftiger und ſagte: „fra¬
ge mich nicht, du quaͤleſt dich nur“ — Amandus,
deſſen hyſteriſches Gefuͤhl nicht ſo fein als konvulſi¬
viſch war, feuerte ſich erſt damit an — Guſtavs
Herz war innigſt bewegt und daraus kamen die
Worte: „o! Lieber, du kannſt es nie erfahren,
von mir nie“ — Amandus war wie alle Schwache
leicht zur Eiferſucht in Freundſchaft und Liebe ge¬
neigt und ſtellte ſich beleidigt ans Fenſter — Gu¬
ſtav, heute nachgiebiger und waͤrmer durch das
Bewuſtſeyn ſeiner neueſten Vergehung in der Korn-
Anklage, gieng hin zu ihm und ſagte mit naſſen
Augen: „haͤtt, ich nur keinen Eid gethan, nichts
zu ſagen“ — Aber an Amandus Seele waren nicht
alle Stellen mit jenem feinen Ehrgefuͤhl bekleidet,
an dem Wort- und Eidbruch freſſender Hoͤllenſtein
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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