Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen nur in seinem zweiten Jahrzehend so
strahlend bricht. Wie bei allen Seelen, die sich
mehr von innen heraus als von außen hineinver¬
ändern, stand in ihm der Barometer seines Her¬
zens oft unbeweglich auf demselben Grade. Die
Regenwolken und den Regenbogen an seinem in¬
nern Himmel bracht' er nach Scheerau mit: er
trug sein überhültes Herz in das weite wiederhallende
Kadettenhaus und in dessen Jahrmarkslärm auf
den Treppen und in das Kadetten-Feldgeschrei wie
unter die Schläge einer Kupferschmiede und Walk¬
mühle hinein -- er wurde noch trauriger, aber mit
mehr Schmerzen.

Das merkwürdige im Zimmer, das er betrat
und bewohnte, waren nicht drei Kadetten -- denn
sie waren Kurrent-Menschen, Scheidemünze und
prosaische Seelen, d. h. lustig, witzig, ohne Ge¬
fühl, ohne Interesse für höhere Bedürfnisse und
von mäßigen Leidenschaften -- sondern der Stuben-
Ephorus, H. v. Oefel, der mit dem Degen wie
eine gespießte Fliege mit der Nadel lief. Oefel
fieng ihn sogleich zu beobachten an, um ihn abends
zu beschreiben -- in Gesellschaften beobachtete er
jeden, nicht um fremde Pfiffe zu erlauschen,

Menſchen nur in ſeinem zweiten Jahrzehend ſo
ſtrahlend bricht. Wie bei allen Seelen, die ſich
mehr von innen heraus als von außen hineinver¬
aͤndern, ſtand in ihm der Barometer ſeines Her¬
zens oft unbeweglich auf demſelben Grade. Die
Regenwolken und den Regenbogen an ſeinem in¬
nern Himmel bracht' er nach Scheerau mit: er
trug ſein uͤberhuͤltes Herz in das weite wiederhallende
Kadettenhaus und in deſſen Jahrmarkslaͤrm auf
den Treppen und in das Kadetten-Feldgeſchrei wie
unter die Schlaͤge einer Kupferſchmiede und Walk¬
muͤhle hinein — er wurde noch trauriger, aber mit
mehr Schmerzen.

Das merkwuͤrdige im Zimmer, das er betrat
und bewohnte, waren nicht drei Kadetten — denn
ſie waren Kurrent-Menſchen, Scheidemuͤnze und
proſaiſche Seelen, d. h. luſtig, witzig, ohne Ge¬
fuͤhl, ohne Intereſſe fuͤr hoͤhere Beduͤrfniſſe und
von maͤßigen Leidenſchaften — ſondern der Stuben-
Ephorus, H. v. Oefel, der mit dem Degen wie
eine geſpießte Fliege mit der Nadel lief. Oefel
fieng ihn ſogleich zu beobachten an, um ihn abends
zu beſchreiben — in Geſellſchaften beobachtete er
jeden, nicht um fremde Pfiffe zu erlauſchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0329" n="293"/>
Men&#x017F;chen nur in &#x017F;einem zweiten Jahrzehend &#x017F;o<lb/>
&#x017F;trahlend bricht. Wie bei allen Seelen, die &#x017F;ich<lb/>
mehr von innen heraus als von außen hineinver¬<lb/>
a&#x0364;ndern, &#x017F;tand in ihm der Barometer &#x017F;eines Her¬<lb/>
zens oft unbeweglich auf dem&#x017F;elben Grade. Die<lb/>
Regenwolken und den Regenbogen an &#x017F;einem in¬<lb/>
nern Himmel bracht' er nach Scheerau mit: er<lb/>
trug &#x017F;ein u&#x0364;berhu&#x0364;ltes Herz in das weite wiederhallende<lb/>
Kadettenhaus und in de&#x017F;&#x017F;en Jahrmarksla&#x0364;rm auf<lb/>
den Treppen und in das Kadetten-Feldge&#x017F;chrei wie<lb/>
unter die Schla&#x0364;ge einer Kupfer&#x017F;chmiede und Walk¬<lb/>
mu&#x0364;hle hinein &#x2014; er wurde noch trauriger, aber mit<lb/>
mehr Schmerzen.</p><lb/>
          <p>Das merkwu&#x0364;rdige im Zimmer, das er betrat<lb/>
und bewohnte, waren nicht drei Kadetten &#x2014; denn<lb/>
&#x017F;ie waren Kurrent-Men&#x017F;chen, Scheidemu&#x0364;nze und<lb/>
pro&#x017F;ai&#x017F;che Seelen, d. h. lu&#x017F;tig, witzig, ohne Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hl, ohne Intere&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r ho&#x0364;here Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
von ma&#x0364;ßigen Leiden&#x017F;chaften &#x2014; &#x017F;ondern der Stuben-<lb/>
Ephorus, H. v. Oefel, der mit dem Degen wie<lb/>
eine ge&#x017F;pießte Fliege mit der Nadel lief. Oefel<lb/>
fieng ihn &#x017F;ogleich zu beobachten an, um ihn abends<lb/>
zu be&#x017F;chreiben &#x2014; in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften beobachtete er<lb/>
jeden, nicht um fremde Pfiffe zu erlau&#x017F;chen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0329] Menſchen nur in ſeinem zweiten Jahrzehend ſo ſtrahlend bricht. Wie bei allen Seelen, die ſich mehr von innen heraus als von außen hineinver¬ aͤndern, ſtand in ihm der Barometer ſeines Her¬ zens oft unbeweglich auf demſelben Grade. Die Regenwolken und den Regenbogen an ſeinem in¬ nern Himmel bracht' er nach Scheerau mit: er trug ſein uͤberhuͤltes Herz in das weite wiederhallende Kadettenhaus und in deſſen Jahrmarkslaͤrm auf den Treppen und in das Kadetten-Feldgeſchrei wie unter die Schlaͤge einer Kupferſchmiede und Walk¬ muͤhle hinein — er wurde noch trauriger, aber mit mehr Schmerzen. Das merkwuͤrdige im Zimmer, das er betrat und bewohnte, waren nicht drei Kadetten — denn ſie waren Kurrent-Menſchen, Scheidemuͤnze und proſaiſche Seelen, d. h. luſtig, witzig, ohne Ge¬ fuͤhl, ohne Intereſſe fuͤr hoͤhere Beduͤrfniſſe und von maͤßigen Leidenſchaften — ſondern der Stuben- Ephorus, H. v. Oefel, der mit dem Degen wie eine geſpießte Fliege mit der Nadel lief. Oefel fieng ihn ſogleich zu beobachten an, um ihn abends zu beſchreiben — in Geſellſchaften beobachtete er jeden, nicht um fremde Pfiffe zu erlauſchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/329
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/329>, abgerufen am 12.05.2024.