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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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sichtbaren Händen den blinden Menschen in weite,
reine, unbekannte Regionen hebt, meinem gelieb¬
ten Schüler das Bild seines Guido *), das ich
ihm bisher entzog, ans Herz drückte; in sol¬
chen Minuten sind Worte nicht nöthig, aber je¬
des, das man spricht, hat eine allmächtige Hand:
"Hier, Gustav, (sagt' ich) hier vor dem Himmel
und der Erde, und vor allem Unsichtbaren um den
Menschen, hier übergeb' ich dir aus meinen be¬
wahrenden Händen fünf große Dinge in deine, --
ich übergebe dir dein unschuldiges Herz -- ich über¬
gebe dir deine Ehre -- den Gedanken an das Un¬
endliche -- dein Schicksal -- und deine Gestalt, die
auch um Guido's Seele liegt. Die großen Stun¬
den stehen nicht auf der Erde, die dich fragen wer¬
den, ob du diese fünf großen Dinge erhalten oder
verloren hast -- aber sie werden einmal deine künf¬
tige Seele mit deiner jetzigen vergleichen -- --
ach! laß mich an mich nicht denken, wenn du al¬
les verloren hast! . . .

*) Das Bild des verlornen Kleinen, das er an seinem Hal¬
se von der Entführerin mitbrachte, und das ihm so ähn¬
lich sah.

ſichtbaren Haͤnden den blinden Menſchen in weite,
reine, unbekannte Regionen hebt, meinem gelieb¬
ten Schuͤler das Bild ſeines Guido *), das ich
ihm bisher entzog, ans Herz druͤckte; in ſol¬
chen Minuten ſind Worte nicht noͤthig, aber je¬
des, das man ſpricht, hat eine allmaͤchtige Hand:
„Hier, Guſtav, (ſagt' ich) hier vor dem Himmel
und der Erde, und vor allem Unſichtbaren um den
Menſchen, hier uͤbergeb' ich dir aus meinen be¬
wahrenden Haͤnden fuͤnf große Dinge in deine, —
ich uͤbergebe dir dein unſchuldiges Herz — ich uͤber¬
gebe dir deine Ehre — den Gedanken an das Un¬
endliche — dein Schickſal — und deine Geſtalt, die
auch um Guido's Seele liegt. Die großen Stun¬
den ſtehen nicht auf der Erde, die dich fragen wer¬
den, ob du dieſe fuͤnf großen Dinge erhalten oder
verloren haſt — aber ſie werden einmal deine kuͤnf¬
tige Seele mit deiner jetzigen vergleichen — —
ach! laß mich an mich nicht denken, wenn du al¬
les verloren haſt! . . .

*) Das Bild des verlornen Kleinen, das er an ſeinem Hal¬
ſe von der Entführerin mitbrachte, und das ihm ſo ähn¬
lich ſah.
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[280/0316] ſichtbaren Haͤnden den blinden Menſchen in weite, reine, unbekannte Regionen hebt, meinem gelieb¬ ten Schuͤler das Bild ſeines Guido *), das ich ihm bisher entzog, ans Herz druͤckte; in ſol¬ chen Minuten ſind Worte nicht noͤthig, aber je¬ des, das man ſpricht, hat eine allmaͤchtige Hand: „Hier, Guſtav, (ſagt' ich) hier vor dem Himmel und der Erde, und vor allem Unſichtbaren um den Menſchen, hier uͤbergeb' ich dir aus meinen be¬ wahrenden Haͤnden fuͤnf große Dinge in deine, — ich uͤbergebe dir dein unſchuldiges Herz — ich uͤber¬ gebe dir deine Ehre — den Gedanken an das Un¬ endliche — dein Schickſal — und deine Geſtalt, die auch um Guido's Seele liegt. Die großen Stun¬ den ſtehen nicht auf der Erde, die dich fragen wer¬ den, ob du dieſe fuͤnf großen Dinge erhalten oder verloren haſt — aber ſie werden einmal deine kuͤnf¬ tige Seele mit deiner jetzigen vergleichen — — ach! laß mich an mich nicht denken, wenn du al¬ les verloren haſt! . . . *) Das Bild des verlornen Kleinen, das er an ſeinem Hal¬ ſe von der Entführerin mitbrachte, und das ihm ſo ähn¬ lich ſah.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/316>, abgerufen am 12.05.2024.