Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Goldstück mochte noch so schlecht in sein Haus ge¬
kommen seyn, er dankte es wie einen Offizier nie
ohne Avancement ab. So decken ganz edle See¬
len sogar die Mängel des Geldes mit dem Mantel
der Liebe zu.

Auf diese Art breiteten sich seine Kaufmanns- und
Feldgüter immer mehr aus, und in seinem von der
freundschaftlichen Wärme des Publikums angebrüte¬
ten Herzen regte sich wie ein Ei-Infusionsthierchen
ein federloses durchsichtiges mattes Ding, das er Ehre
nannte. Der unvollkommne Karakter ließ sich also
einen Karakter als Kommerzienrath kommen.

Jetzt da er die Ehre recht fest und aufs Papier
fixirt hatte: so konnt' er sie eher beleidigen als vor¬
her da er sie noch nicht unter seinen Papieren hatte.
Er machte also seine Liebeserklärung dem reichsten
und geitzigsten Vater einer schönen Tochter, die die
Liebe gegen einen Offizier zum letzten Schritte hinge¬
rissen hatte: die Tochter haßte seine Liebeserklärung;
aber der Karakter und der Vater bemächtigten sich
ihrer sträubenden Hand, zogen sie daran zum Al¬
tar, schraubten den Ring ihr an und pfählten ihre
Hand in seine. Ihr zweites Kind war sein erstes.

Goldſtuͤck mochte noch ſo ſchlecht in ſein Haus ge¬
kommen ſeyn, er dankte es wie einen Offizier nie
ohne Avancement ab. So decken ganz edle See¬
len ſogar die Maͤngel des Geldes mit dem Mantel
der Liebe zu.

Auf dieſe Art breiteten ſich ſeine Kaufmanns- und
Feldguͤter immer mehr aus, und in ſeinem von der
freundſchaftlichen Waͤrme des Publikums angebruͤte¬
ten Herzen regte ſich wie ein Ei-Infuſionsthierchen
ein federloſes durchſichtiges mattes Ding, das er Ehre
nannte. Der unvollkommne Karakter ließ ſich alſo
einen Karakter als Kommerzienrath kommen.

Jetzt da er die Ehre recht feſt und aufs Papier
fixirt hatte: ſo konnt' er ſie eher beleidigen als vor¬
her da er ſie noch nicht unter ſeinen Papieren hatte.
Er machte alſo ſeine Liebeserklaͤrung dem reichſten
und geitzigſten Vater einer ſchoͤnen Tochter, die die
Liebe gegen einen Offizier zum letzten Schritte hinge¬
riſſen hatte: die Tochter haßte ſeine Liebeserklaͤrung;
aber der Karakter und der Vater bemaͤchtigten ſich
ihrer ſtraͤubenden Hand, zogen ſie daran zum Al¬
tar, ſchraubten den Ring ihr an und pfaͤhlten ihre
Hand in ſeine. Ihr zweites Kind war ſein erſtes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="236"/>
Gold&#x017F;tu&#x0364;ck mochte noch &#x017F;o &#x017F;chlecht in &#x017F;ein Haus ge¬<lb/>
kommen &#x017F;eyn, er dankte es wie einen Offizier nie<lb/>
ohne Avancement ab. So decken ganz edle See¬<lb/>
len &#x017F;ogar die Ma&#x0364;ngel des Geldes mit dem Mantel<lb/>
der Liebe zu.</p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;e Art breiteten &#x017F;ich &#x017F;eine Kaufmanns- und<lb/>
Feldgu&#x0364;ter immer mehr aus, und in &#x017F;einem von der<lb/>
freund&#x017F;chaftlichen Wa&#x0364;rme des Publikums angebru&#x0364;te¬<lb/>
ten Herzen regte &#x017F;ich wie ein Ei-Infu&#x017F;ionsthierchen<lb/>
ein federlo&#x017F;es durch&#x017F;ichtiges mattes Ding, das er Ehre<lb/>
nannte. Der unvollkommne Karakter ließ &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
einen Karakter als Kommerzienrath kommen.</p><lb/>
          <p>Jetzt da er die Ehre recht fe&#x017F;t und aufs Papier<lb/>
fixirt hatte: &#x017F;o konnt' er &#x017F;ie eher beleidigen als vor¬<lb/>
her da er &#x017F;ie noch nicht unter &#x017F;einen Papieren hatte.<lb/>
Er machte al&#x017F;o &#x017F;eine Liebeserkla&#x0364;rung dem reich&#x017F;ten<lb/>
und geitzig&#x017F;ten Vater einer &#x017F;cho&#x0364;nen Tochter, die die<lb/>
Liebe gegen einen Offizier zum letzten Schritte hinge¬<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en hatte: die Tochter haßte &#x017F;eine Liebeserkla&#x0364;rung;<lb/>
aber der Karakter und der Vater bema&#x0364;chtigten &#x017F;ich<lb/>
ihrer &#x017F;tra&#x0364;ubenden Hand, zogen &#x017F;ie daran zum Al¬<lb/>
tar, &#x017F;chraubten den Ring ihr an und pfa&#x0364;hlten ihre<lb/>
Hand in &#x017F;eine. Ihr zweites Kind war &#x017F;ein er&#x017F;tes.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0272] Goldſtuͤck mochte noch ſo ſchlecht in ſein Haus ge¬ kommen ſeyn, er dankte es wie einen Offizier nie ohne Avancement ab. So decken ganz edle See¬ len ſogar die Maͤngel des Geldes mit dem Mantel der Liebe zu. Auf dieſe Art breiteten ſich ſeine Kaufmanns- und Feldguͤter immer mehr aus, und in ſeinem von der freundſchaftlichen Waͤrme des Publikums angebruͤte¬ ten Herzen regte ſich wie ein Ei-Infuſionsthierchen ein federloſes durchſichtiges mattes Ding, das er Ehre nannte. Der unvollkommne Karakter ließ ſich alſo einen Karakter als Kommerzienrath kommen. Jetzt da er die Ehre recht feſt und aufs Papier fixirt hatte: ſo konnt' er ſie eher beleidigen als vor¬ her da er ſie noch nicht unter ſeinen Papieren hatte. Er machte alſo ſeine Liebeserklaͤrung dem reichſten und geitzigſten Vater einer ſchoͤnen Tochter, die die Liebe gegen einen Offizier zum letzten Schritte hinge¬ riſſen hatte: die Tochter haßte ſeine Liebeserklaͤrung; aber der Karakter und der Vater bemaͤchtigten ſich ihrer ſtraͤubenden Hand, zogen ſie daran zum Al¬ tar, ſchraubten den Ring ihr an und pfaͤhlten ihre Hand in ſeine. Ihr zweites Kind war ſein erſtes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/272
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/272>, abgerufen am 26.06.2024.