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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Tugend und seine Handlungen aus Schnurren,
Schnacken und Karakterzügen.

Dennoch oder demnach liebte ihn der Rittmei¬
ster, weil er ihn oft sah (er war fast jedem gram,
der ihn nicht besuchte) und weil beide lustig waren
und weil hundertmal Menschen einander lieben oh¬
ne daß ein Henker weiß warum. Falkenberg hätte
sich für jeden Freund, selbst für den, der ihn erst
berückt hätte, mit dem Behemoth selber geschossen
-- aus Ehre und Gutherzigkeit; der Professor hin¬
gegen zog reine Moral und reine Mathematik der an¬
gewandten weit vor und handelte selten: was that
er einmal in Auenthal, da zu Nacht um 12 Uhr
statt des Rittmeisters aus dem aufgethürmten
Schnee blos sein leerer Gaul heimkam? -- Ein an¬
drer, z. B. der Rittmeister selbst wäre auf dem¬
selben Gaule aufgesessen und hinausgeritten, um
den Restanten zu retten; allein der Professor
schnäutzte nett das Talglicht und setzte sich hart an
die jammernde Ehefrau, die sich jede Nacht ab¬
ängstigte und sich jeden Morgen darüber tadelte,
und sagte gefaßt zu ihr: "ein Paar Thränen ver¬
böt' er ihr nicht zu weinen: sie wüschen überhaupt
den Augapfel ab und brächen zu heftiges Licht;

Tugend und ſeine Handlungen aus Schnurren,
Schnacken und Karakterzuͤgen.

Dennoch oder demnach liebte ihn der Rittmei¬
ſter, weil er ihn oft ſah (er war faſt jedem gram,
der ihn nicht beſuchte) und weil beide luſtig waren
und weil hundertmal Menſchen einander lieben oh¬
ne daß ein Henker weiß warum. Falkenberg haͤtte
ſich fuͤr jeden Freund, ſelbſt fuͤr den, der ihn erſt
beruͤckt haͤtte, mit dem Behemoth ſelber geſchoſſen
— aus Ehre und Gutherzigkeit; der Profeſſor hin¬
gegen zog reine Moral und reine Mathematik der an¬
gewandten weit vor und handelte ſelten: was that
er einmal in Auenthal, da zu Nacht um 12 Uhr
ſtatt des Rittmeiſters aus dem aufgethuͤrmten
Schnee blos ſein leerer Gaul heimkam? — Ein an¬
drer, z. B. der Rittmeiſter ſelbſt waͤre auf dem¬
ſelben Gaule aufgeſeſſen und hinausgeritten, um
den Reſtanten zu retten; allein der Profeſſor
ſchnaͤutzte nett das Talglicht und ſetzte ſich hart an
die jammernde Ehefrau, die ſich jede Nacht ab¬
aͤngſtigte und ſich jeden Morgen daruͤber tadelte,
und ſagte gefaßt zu ihr: „ein Paar Thraͤnen ver¬
boͤt' er ihr nicht zu weinen: ſie wuͤſchen uͤberhaupt
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[174/0210] Tugend und ſeine Handlungen aus Schnurren, Schnacken und Karakterzuͤgen. Dennoch oder demnach liebte ihn der Rittmei¬ ſter, weil er ihn oft ſah (er war faſt jedem gram, der ihn nicht beſuchte) und weil beide luſtig waren und weil hundertmal Menſchen einander lieben oh¬ ne daß ein Henker weiß warum. Falkenberg haͤtte ſich fuͤr jeden Freund, ſelbſt fuͤr den, der ihn erſt beruͤckt haͤtte, mit dem Behemoth ſelber geſchoſſen — aus Ehre und Gutherzigkeit; der Profeſſor hin¬ gegen zog reine Moral und reine Mathematik der an¬ gewandten weit vor und handelte ſelten: was that er einmal in Auenthal, da zu Nacht um 12 Uhr ſtatt des Rittmeiſters aus dem aufgethuͤrmten Schnee blos ſein leerer Gaul heimkam? — Ein an¬ drer, z. B. der Rittmeiſter ſelbſt waͤre auf dem¬ ſelben Gaule aufgeſeſſen und hinausgeritten, um den Reſtanten zu retten; allein der Profeſſor ſchnaͤutzte nett das Talglicht und ſetzte ſich hart an die jammernde Ehefrau, die ſich jede Nacht ab¬ aͤngſtigte und ſich jeden Morgen daruͤber tadelte, und ſagte gefaßt zu ihr: „ein Paar Thraͤnen ver¬ boͤt' er ihr nicht zu weinen: ſie wuͤſchen uͤberhaupt den Augapfel ab und braͤchen zu heftiges Licht;

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/210>, abgerufen am 24.11.2024.