Diese Pathe blies im Unterscheerauer-Konzert, um mit der Flöte in die Sphärenstimme eines sehr jungen Fräuleins von Röper zu spielen, dessen Keh¬ le sich oft kaum von der Flöte scheiden ließ. Die ganze Seele dieses Mädgens ist ein Nachtigallton unter Blütenüberhang; der Leib desselben ist eine fallende himmelreine Schneeflocke, die nur im Aether dauert und auf dem Koth des Bodens zerläuft. Dem Flötenisten fiel während den Pausen ein schönes in phantasirende Aufmerksamkeit verlornes Kind in die Augen und auf das Herz: Gustav wars. Der erste Blick nach dem Akkompagnement war auf die Nach¬ barschaft des Kindes, um den Eigner desselben zu finden -- der erste Schritt, den die Pathe that, war zur andern Pathe, zum Rittmeister, dessen Freundschaft mit mir bekannt genug ist. Das männ¬ liche Geschlecht ist glücklicher und neidloser als das weibliche, weil jenes im Stande ist, zweierlei Schönheiten mit ganzer Seele zu fassen, männliche und weibliche; hingegen die Weiber lieben nur die eines fremden Geschlechts. Ich hab' aber vielleicht zu viel Enthusiasmus für die erhabne männliche Schönheit, so wie für poetische Schwärmerei, un¬ geachtet ich wenigstens die letztere selber nicht habe.
Dieſe Pathe blies im Unterſcheerauer-Konzert, um mit der Floͤte in die Sphaͤrenſtimme eines ſehr jungen Fraͤuleins von Roͤper zu ſpielen, deſſen Keh¬ le ſich oft kaum von der Floͤte ſcheiden ließ. Die ganze Seele dieſes Maͤdgens iſt ein Nachtigallton unter Bluͤtenuͤberhang; der Leib deſſelben iſt eine fallende himmelreine Schneeflocke, die nur im Aether dauert und auf dem Koth des Bodens zerlaͤuft. Dem Floͤteniſten fiel waͤhrend den Pauſen ein ſchoͤnes in phantaſirende Aufmerkſamkeit verlornes Kind in die Augen und auf das Herz: Guſtav wars. Der erſte Blick nach dem Akkompagnement war auf die Nach¬ barſchaft des Kindes, um den Eigner deſſelben zu finden — der erſte Schritt, den die Pathe that, war zur andern Pathe, zum Rittmeiſter, deſſen Freundſchaft mit mir bekannt genug iſt. Das maͤnn¬ liche Geſchlecht iſt gluͤcklicher und neidloſer als das weibliche, weil jenes im Stande iſt, zweierlei Schoͤnheiten mit ganzer Seele zu faſſen, maͤnnliche und weibliche; hingegen die Weiber lieben nur die eines fremden Geſchlechts. Ich hab' aber vielleicht zu viel Enthuſiasmus fuͤr die erhabne maͤnnliche Schoͤnheit, ſo wie fuͤr poetiſche Schwaͤrmerei, un¬ geachtet ich wenigſtens die letztere ſelber nicht habe.
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Dieſe Pathe blies im Unterſcheerauer-Konzert,
um mit der Floͤte in die Sphaͤrenſtimme eines ſehr
jungen Fraͤuleins von Roͤper zu ſpielen, deſſen Keh¬
le ſich oft kaum von der Floͤte ſcheiden ließ. Die
ganze Seele dieſes Maͤdgens iſt ein Nachtigallton
unter Bluͤtenuͤberhang; der Leib deſſelben iſt eine
fallende himmelreine Schneeflocke, die nur im Aether
dauert und auf dem Koth des Bodens zerlaͤuft. Dem
Floͤteniſten fiel waͤhrend den Pauſen ein ſchoͤnes in
phantaſirende Aufmerkſamkeit verlornes Kind in die
Augen und auf das Herz: Guſtav wars. Der erſte
Blick nach dem Akkompagnement war auf die Nach¬
barſchaft des Kindes, um den Eigner deſſelben zu
finden — der erſte Schritt, den die Pathe that,
war zur andern Pathe, zum Rittmeiſter, deſſen
Freundſchaft mit mir bekannt genug iſt. Das maͤnn¬
liche Geſchlecht iſt gluͤcklicher und neidloſer als das
weibliche, weil jenes im Stande iſt, zweierlei
Schoͤnheiten mit ganzer Seele zu faſſen, maͤnnliche
und weibliche; hingegen die Weiber lieben nur die
eines fremden Geſchlechts. Ich hab' aber vielleicht
zu viel Enthuſiasmus fuͤr die erhabne maͤnnliche
Schoͤnheit, ſo wie fuͤr poetiſche Schwaͤrmerei, un¬
geachtet ich wenigſtens die letztere ſelber nicht habe.
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/179>, abgerufen am 22.11.2024.
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