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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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rauer, womit sie sich ein so kurzes Leben verkürz¬
ten und ein so saueres versäuerten --, ,mich eckelts
von ihnen gelobt zu werden', sagt' er nicht bloß
sondern er erboste auch gern mit dem schlimmsten
Anstrich seiner reinsten Sitten alles von einem
Thore zum andern: indeß vermocht' er aus Her¬
zens Weichheit mehr nicht zu ärgern als die ganze
Stadt in grosso, einen allein nie. Deswegen
grassierte er am zweiten Morgen seiner Ankunft
wie eine Influenza von einem Hause zum andern
und bat alle Muhmen, Basen, Blutsfeinde,
Leute die ihn nichts angiengen als die liebe Chri¬
stenheit, z. B. den Flöß-Inspector Peuschel, den
Lotto-Direktor Eckert mit seinen vier Spätbirnen,
von Töchtern und was, nur Unterscheerauschen Athem
hatte, das bat er sämmtlich zusammen auf den
Nachmittag, auf eine Reiseseltenheit nämlich auf
ein herbarium vivum, das er zeigen werde: "es
sei kein lebendiges Kräuterbuch sondern etwas ganz
besondres und von den Gletschern wär's meiste her."

Diese kamen eben jezt alle -- nicht weil sie
das geringste nach einem Kräuterbuch fragten, son¬
dern weil sie es doch sehen wollten und die Haus¬
haltung des unbeweibten Doktors nebenbei. Ich muß

rauer, womit ſie ſich ein ſo kurzes Leben verkuͤrz¬
ten und ein ſo ſaueres verſaͤuerten —, ‚mich eckelts
von ihnen gelobt zu werden', ſagt' er nicht bloß
ſondern er erboſte auch gern mit dem ſchlimmſten
Anſtrich ſeiner reinſten Sitten alles von einem
Thore zum andern: indeß vermocht' er aus Her¬
zens Weichheit mehr nicht zu aͤrgern als die ganze
Stadt in groſſo, einen allein nie. Deswegen
graſſierte er am zweiten Morgen ſeiner Ankunft
wie eine Influenza von einem Hauſe zum andern
und bat alle Muhmen, Baſen, Blutsfeinde,
Leute die ihn nichts angiengen als die liebe Chri¬
ſtenheit, z. B. den Floͤß-Inſpector Peuſchel, den
Lotto-Direktor Eckert mit ſeinen vier Spaͤtbirnen,
von Toͤchtern und was, nur Unterſcheerauſchen Athem
hatte, das bat er ſaͤmmtlich zuſammen auf den
Nachmittag, auf eine Reiſeſeltenheit naͤmlich auf
ein herbarium vivum, das er zeigen werde: „es
ſei kein lebendiges Kraͤuterbuch ſondern etwas ganz
beſondres und von den Gletſchern waͤr's meiſte her.“

Dieſe kamen eben jezt alle — nicht weil ſie
das geringſte nach einem Kraͤuterbuch fragten, ſon¬
dern weil ſie es doch ſehen wollten und die Haus¬
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[124/0160] rauer, womit ſie ſich ein ſo kurzes Leben verkuͤrz¬ ten und ein ſo ſaueres verſaͤuerten —, ‚mich eckelts von ihnen gelobt zu werden', ſagt' er nicht bloß ſondern er erboſte auch gern mit dem ſchlimmſten Anſtrich ſeiner reinſten Sitten alles von einem Thore zum andern: indeß vermocht' er aus Her¬ zens Weichheit mehr nicht zu aͤrgern als die ganze Stadt in groſſo, einen allein nie. Deswegen graſſierte er am zweiten Morgen ſeiner Ankunft wie eine Influenza von einem Hauſe zum andern und bat alle Muhmen, Baſen, Blutsfeinde, Leute die ihn nichts angiengen als die liebe Chri¬ ſtenheit, z. B. den Floͤß-Inſpector Peuſchel, den Lotto-Direktor Eckert mit ſeinen vier Spaͤtbirnen, von Toͤchtern und was, nur Unterſcheerauſchen Athem hatte, das bat er ſaͤmmtlich zuſammen auf den Nachmittag, auf eine Reiſeſeltenheit naͤmlich auf ein herbarium vivum, das er zeigen werde: „es ſei kein lebendiges Kraͤuterbuch ſondern etwas ganz beſondres und von den Gletſchern waͤr's meiſte her.“ Dieſe kamen eben jezt alle — nicht weil ſie das geringſte nach einem Kraͤuterbuch fragten, ſon¬ dern weil ſie es doch ſehen wollten und die Haus¬ haltung des unbeweibten Doktors nebenbei. Ich muß

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/160>, abgerufen am 07.05.2024.