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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Materialisten auf der philosophischen Börse zu er¬
fahren, daß die Seele nichts ist als ein Fechser und
Absenker des Körpers, der also bei Mann und Frau
mit dem Leib zugleich weggeht. Man brauchts aber
gar nicht, sondern man darf nur Humen beifal¬
len, der schreibt, die Seele wäre gar nichts, son¬
dern bloße Gedanken leimten sich wie Krötenlaich
an einander und kröchen so durch den Kopf und
dächten sich selbst: bei solchen Umständen kann das
Brautpaar Gott danken, wenn sein Paar kopulir¬
ter Seelen nur so lange halten will wie die zwei
Paar Tanz-Handschuhe des Hochzeitballs: man
siehts auch am Vormittag nach den Flitterwochen.

Also, wie gesagt, alle Kanonisten können die
Woche, wo Mann und Frau zum Ehebrechen schrei¬
ten darf, nicht weiter hinausschieben als ins vierte
Jahr nach der Verlobung; allein für Leute von
Welt und von Stand ist das hart und zu rigorös,
zumal wenn sie aus ihrem "Keil" (dem Anato¬
miker) wissen, daß schon in Einem Jahre der
ganze alte Körper wegthauet, -- bloß elende 16
Pfund Fleischgewicht ausgenommen. Daher wa¬
ren's oft meine Gedanken, daß ich, wenn ich mei¬
nen Ehebruch schon ins erste Jahr verlegte (wie's

viele

Materialiſten auf der philoſophiſchen Boͤrſe zu er¬
fahren, daß die Seele nichts iſt als ein Fechſer und
Abſenker des Koͤrpers, der alſo bei Mann und Frau
mit dem Leib zugleich weggeht. Man brauchts aber
gar nicht, ſondern man darf nur Humen beifal¬
len, der ſchreibt, die Seele waͤre gar nichts, ſon¬
dern bloße Gedanken leimten ſich wie Kroͤtenlaich
an einander und kroͤchen ſo durch den Kopf und
daͤchten ſich ſelbſt: bei ſolchen Umſtaͤnden kann das
Brautpaar Gott danken, wenn ſein Paar kopulir¬
ter Seelen nur ſo lange halten will wie die zwei
Paar Tanz-Handſchuhe des Hochzeitballs: man
ſiehts auch am Vormittag nach den Flitterwochen.

Alſo, wie geſagt, alle Kanoniſten koͤnnen die
Woche, wo Mann und Frau zum Ehebrechen ſchrei¬
ten darf, nicht weiter hinausſchieben als ins vierte
Jahr nach der Verlobung; allein fuͤr Leute von
Welt und von Stand iſt das hart und zu rigoroͤs,
zumal wenn ſie aus ihrem „Keil“ (dem Anato¬
miker) wiſſen, daß ſchon in Einem Jahre der
ganze alte Koͤrper wegthauet, — bloß elende 16
Pfund Fleiſchgewicht ausgenommen. Daher wa¬
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nen Ehebruch ſchon ins erſte Jahr verlegte (wie's

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[80/0116] Materialiſten auf der philoſophiſchen Boͤrſe zu er¬ fahren, daß die Seele nichts iſt als ein Fechſer und Abſenker des Koͤrpers, der alſo bei Mann und Frau mit dem Leib zugleich weggeht. Man brauchts aber gar nicht, ſondern man darf nur Humen beifal¬ len, der ſchreibt, die Seele waͤre gar nichts, ſon¬ dern bloße Gedanken leimten ſich wie Kroͤtenlaich an einander und kroͤchen ſo durch den Kopf und daͤchten ſich ſelbſt: bei ſolchen Umſtaͤnden kann das Brautpaar Gott danken, wenn ſein Paar kopulir¬ ter Seelen nur ſo lange halten will wie die zwei Paar Tanz-Handſchuhe des Hochzeitballs: man ſiehts auch am Vormittag nach den Flitterwochen. Alſo, wie geſagt, alle Kanoniſten koͤnnen die Woche, wo Mann und Frau zum Ehebrechen ſchrei¬ ten darf, nicht weiter hinausſchieben als ins vierte Jahr nach der Verlobung; allein fuͤr Leute von Welt und von Stand iſt das hart und zu rigoroͤs, zumal wenn ſie aus ihrem „Keil“ (dem Anato¬ miker) wiſſen, daß ſchon in Einem Jahre der ganze alte Koͤrper wegthauet, — bloß elende 16 Pfund Fleiſchgewicht ausgenommen. Daher wa¬ ren's oft meine Gedanken, daß ich, wenn ich mei¬ nen Ehebruch ſchon ins erſte Jahr verlegte (wie's viele

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/116>, abgerufen am 28.04.2024.