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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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antrift als das Dissolvierte war, das die Ehe ver¬
sprach: was soll eine Frau da anstellen, die wenns
eine Konsistorial-Hälfte ist, recht gut weiß quid
juris
? Sie, sag' ich, die es hundertmal über
dem Essen gehört haben muß, daß eine solche Ent¬
weichung des männlichen Körpers, eine verfluchte
bösliche Verlassung oder desertio malitiosa ist,
die sie von ihren Ehepflichten ganz losknüpfet --
es kann vollends eine solche Strohwittwe gar Lu¬
therum de causis matrimonii gelesen haben und sich
daraus entsinnen, daß er einer böslich Verlassenen
nach einem oder einem halben Jahre eine neue Ehe nicht
verbeut. . . . . Sich in besagte neue Ehe zu be¬
geben, wird offenbar die erste Pflicht und Absicht
einer solchen Verlassenen sein; da aber der neue re¬
stirende Ehemannskörper nichts für den fortgedünste¬
ten kann: so wird sie es, um ihn nicht zu kränken, oh¬
ne sein Wissen und ohne Rachsucht thun, wenn er et¬
wann auf der Börse ist -- oder auf dem Katheder
-- oder auf der Messe -- oder zu Schiffe -- oder hin¬
ter dem Sessionstisch oder sonst aus.

Inzwischen ist der Mann kein Narr, sondern
soviel hat er von der Physiologie allemal innen,
daß auch die Frau ihren Körper eben so oft als

antrift als das Diſſolvierte war, das die Ehe ver¬
ſprach: was ſoll eine Frau da anſtellen, die wenns
eine Konſiſtorial-Haͤlfte iſt, recht gut weiß quid
juris
? Sie, ſag' ich, die es hundertmal uͤber
dem Eſſen gehoͤrt haben muß, daß eine ſolche Ent¬
weichung des maͤnnlichen Koͤrpers, eine verfluchte
boͤsliche Verlaſſung oder deſertio malitioſa iſt,
die ſie von ihren Ehepflichten ganz losknuͤpfet —
es kann vollends eine ſolche Strohwittwe gar Lu¬
therum de cauſis matrimonii geleſen haben und ſich
daraus entſinnen, daß er einer boͤslich Verlaſſenen
nach einem oder einem halben Jahre eine neue Ehe nicht
verbeut. . . . . Sich in beſagte neue Ehe zu be¬
geben, wird offenbar die erſte Pflicht und Abſicht
einer ſolchen Verlaſſenen ſein; da aber der neue re¬
ſtirende Ehemannskoͤrper nichts fuͤr den fortgeduͤnſte¬
ten kann: ſo wird ſie es, um ihn nicht zu kraͤnken, oh¬
ne ſein Wiſſen und ohne Rachſucht thun, wenn er et¬
wann auf der Boͤrſe iſt — oder auf dem Katheder
— oder auf der Meſſe — oder zu Schiffe — oder hin¬
ter dem Seſſionstiſch oder ſonſt aus.

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[77/0113] antrift als das Diſſolvierte war, das die Ehe ver¬ ſprach: was ſoll eine Frau da anſtellen, die wenns eine Konſiſtorial-Haͤlfte iſt, recht gut weiß quid juris? Sie, ſag' ich, die es hundertmal uͤber dem Eſſen gehoͤrt haben muß, daß eine ſolche Ent¬ weichung des maͤnnlichen Koͤrpers, eine verfluchte boͤsliche Verlaſſung oder deſertio malitioſa iſt, die ſie von ihren Ehepflichten ganz losknuͤpfet — es kann vollends eine ſolche Strohwittwe gar Lu¬ therum de cauſis matrimonii geleſen haben und ſich daraus entſinnen, daß er einer boͤslich Verlaſſenen nach einem oder einem halben Jahre eine neue Ehe nicht verbeut. . . . . Sich in beſagte neue Ehe zu be¬ geben, wird offenbar die erſte Pflicht und Abſicht einer ſolchen Verlaſſenen ſein; da aber der neue re¬ ſtirende Ehemannskoͤrper nichts fuͤr den fortgeduͤnſte¬ ten kann: ſo wird ſie es, um ihn nicht zu kraͤnken, oh¬ ne ſein Wiſſen und ohne Rachſucht thun, wenn er et¬ wann auf der Boͤrſe iſt — oder auf dem Katheder — oder auf der Meſſe — oder zu Schiffe — oder hin¬ ter dem Seſſionstiſch oder ſonſt aus. Inzwiſchen iſt der Mann kein Narr, ſondern ſoviel hat er von der Phyſiologie allemal innen, daß auch die Frau ihren Koͤrper eben ſo oft als

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/113>, abgerufen am 28.04.2024.