Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

hart ans Ufer des Grabes gerückte Blumen sind,
deren lose nackte Wurzeln schon erstorben hinunter¬
hängen: so war sein Entschluß befestigt und er schrieb
an Emanuel die Nachricht seiner Ankunft zu Pfing¬
sten, um Klotilden durch keinen Ueberfall zu erzür¬
nen und um ihr noch dazu die Gelegenheit eines
Verbotes zu lassen. Seine Wendung war die:
"Wenn es sein sokratischer Genius erlaube (d. h.
"Klotilde), der ihm immer sage, was er nicht
"thun solle: so komm' er zu Pfingsten, da ohnehin
"die Stadt da veröde, da Flamin auf 4, 5 Tage
"nach Kussewitz reise" etc.

Als er den Brief fertig hatte: fiel ihm ein, daß
er gerade heute an diesem 29 April vor einem Jah¬
re die ganze Nacht gereiset sey, um mit dem ersten
Mai am Morgen durch den Nebel ins Pfarrhaus zu
treten. "Ich kann ja wieder diese schwüle Zephyr¬
"Nacht nicht unter dem Zudeck sondern unter den
"Sternen verbringen. -- Ich kann in Einem fort
"ins Abendroth nach Maienthals Bergen schauen.
"-- Ich kann ja lieber den halben Weg darauf zu¬
"gehen -- oder gar den ganzen. -- Ich kann mich
"auf einen Berg stellen und ins Dörfgen schauen --
"Wahrlich ich kann dann mein Billet hier irgend
"einem Maienthaler inkognito einhändigen und wie¬
"der Reißaus nehmen noch vor Tags." --

hart ans Ufer des Grabes geruͤckte Blumen ſind,
deren loſe nackte Wurzeln ſchon erſtorben hinunter¬
haͤngen: ſo war ſein Entſchluß befeſtigt und er ſchrieb
an Emanuel die Nachricht ſeiner Ankunft zu Pfing¬
ſten, um Klotilden durch keinen Ueberfall zu erzuͤr¬
nen und um ihr noch dazu die Gelegenheit eines
Verbotes zu laſſen. Seine Wendung war die:
»Wenn es ſein ſokratiſcher Genius erlaube (d. h.
»Klotilde), der ihm immer ſage, was er nicht
»thun ſolle: ſo komm' er zu Pfingſten, da ohnehin
»die Stadt da veroͤde, da Flamin auf 4, 5 Tage
»nach Kuſſewitz reiſe» ꝛc.

Als er den Brief fertig hatte: fiel ihm ein, daß
er gerade heute an dieſem 29 April vor einem Jah¬
re die ganze Nacht gereiſet ſey, um mit dem erſten
Mai am Morgen durch den Nebel ins Pfarrhaus zu
treten. »Ich kann ja wieder dieſe ſchwuͤle Zephyr¬
»Nacht nicht unter dem Zudeck ſondern unter den
»Sternen verbringen. — Ich kann in Einem fort
»ins Abendroth nach Maienthals Bergen ſchauen.
»— Ich kann ja lieber den halben Weg darauf zu¬
»gehen — oder gar den ganzen. — Ich kann mich
»auf einen Berg ſtellen und ins Doͤrfgen ſchauen —
»Wahrlich ich kann dann mein Billet hier irgend
»einem Maienthaler inkognito einhaͤndigen und wie¬
»der Reißaus nehmen noch vor Tags.» —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
hart ans Ufer des Grabes geru&#x0364;ckte Blumen &#x017F;ind,<lb/>
deren lo&#x017F;e nackte Wurzeln &#x017F;chon er&#x017F;torben hinunter¬<lb/>
ha&#x0364;ngen: &#x017F;o war &#x017F;ein Ent&#x017F;chluß befe&#x017F;tigt und er &#x017F;chrieb<lb/>
an Emanuel die Nachricht &#x017F;einer Ankunft zu Pfing¬<lb/>
&#x017F;ten, um Klotilden durch keinen Ueberfall zu erzu&#x0364;<lb/>
nen und um ihr noch dazu die Gelegenheit eines<lb/>
Verbotes zu la&#x017F;&#x017F;en. Seine Wendung war die:<lb/>
»Wenn es &#x017F;ein &#x017F;okrati&#x017F;cher Genius erlaube (d. h.<lb/>
»Klotilde), der ihm immer &#x017F;age, was er <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
»thun &#x017F;olle: &#x017F;o komm' er zu Pfing&#x017F;ten, da ohnehin<lb/>
»die Stadt da vero&#x0364;de, da Flamin auf 4, 5 Tage<lb/>
»nach Ku&#x017F;&#x017F;ewitz rei&#x017F;&#xA75B;c.</p><lb/>
          <p>Als er den Brief fertig hatte: fiel ihm ein, daß<lb/>
er gerade heute an die&#x017F;em 29 April vor einem Jah¬<lb/>
re die ganze Nacht gerei&#x017F;et &#x017F;ey, um mit dem er&#x017F;ten<lb/>
Mai am Morgen durch den Nebel ins Pfarrhaus zu<lb/>
treten. »Ich kann ja wieder die&#x017F;e &#x017F;chwu&#x0364;le Zephyr¬<lb/>
»Nacht nicht unter dem Zudeck &#x017F;ondern unter den<lb/>
»Sternen verbringen. &#x2014; Ich kann in Einem fort<lb/>
»ins Abendroth nach Maienthals Bergen &#x017F;chauen.<lb/>
»&#x2014; Ich kann ja lieber den halben Weg darauf zu¬<lb/>
»gehen &#x2014; oder gar den ganzen. &#x2014; Ich kann mich<lb/>
»auf einen Berg &#x017F;tellen und ins Do&#x0364;rfgen &#x017F;chauen &#x2014;<lb/>
»Wahrlich ich kann dann mein Billet hier irgend<lb/>
»einem Maienthaler inkognito einha&#x0364;ndigen und wie¬<lb/>
»der Reißaus nehmen noch vor Tags.» &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] hart ans Ufer des Grabes geruͤckte Blumen ſind, deren loſe nackte Wurzeln ſchon erſtorben hinunter¬ haͤngen: ſo war ſein Entſchluß befeſtigt und er ſchrieb an Emanuel die Nachricht ſeiner Ankunft zu Pfing¬ ſten, um Klotilden durch keinen Ueberfall zu erzuͤr¬ nen und um ihr noch dazu die Gelegenheit eines Verbotes zu laſſen. Seine Wendung war die: »Wenn es ſein ſokratiſcher Genius erlaube (d. h. »Klotilde), der ihm immer ſage, was er nicht »thun ſolle: ſo komm' er zu Pfingſten, da ohnehin »die Stadt da veroͤde, da Flamin auf 4, 5 Tage »nach Kuſſewitz reiſe» ꝛc. Als er den Brief fertig hatte: fiel ihm ein, daß er gerade heute an dieſem 29 April vor einem Jah¬ re die ganze Nacht gereiſet ſey, um mit dem erſten Mai am Morgen durch den Nebel ins Pfarrhaus zu treten. »Ich kann ja wieder dieſe ſchwuͤle Zephyr¬ »Nacht nicht unter dem Zudeck ſondern unter den »Sternen verbringen. — Ich kann in Einem fort »ins Abendroth nach Maienthals Bergen ſchauen. »— Ich kann ja lieber den halben Weg darauf zu¬ »gehen — oder gar den ganzen. — Ich kann mich »auf einen Berg ſtellen und ins Doͤrfgen ſchauen — »Wahrlich ich kann dann mein Billet hier irgend »einem Maienthaler inkognito einhaͤndigen und wie¬ »der Reißaus nehmen noch vor Tags.» —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/70
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/70>, abgerufen am 06.05.2024.