einen Blumengarten. Ich habe niemals einen Früh¬ ling so gern und so freudig angesehen wie diesen -- ich kann oft noch bei Mondschein an die Bäche hin¬ ausgehen und eine Blume aufsuchen, die vor dem fließenden Spiegel zittert und um die ein Mond oben und einer unten schimmert und ich stelle mir das Blumenfest in Morgenland vor, bei dem man (wie man sagt) zu Nachts um jede Gartenblume ei¬ nen Spiegel und zwei Lichter setzt. Aber doch kann ich nicht zum Blumenflor meines Lehrers hinüber¬ blicken, ohne zu weich zu werden, da ich denken muß, wer weiß ob seine Tulpen nicht länger stehen als seine geknickte Gestalt. Hat denn die ganze Ar¬ zeneikunst kein Mittel, das seine Hoffnung zu ster¬ ben vereitelt? -- Ich glaube, er stimmt mich nach und nach in seinen melancholischen Ton, womit ich mich vor einem andern als dem Freunde Emanuels lächerlich machen würde; aber eine stille verborgene Freude bricht auch gern in Schwermuth aus; "nur "in der kalten, nicht in der schönen Jahreszeit un¬ "sers Schicksals sagten Sie einmal, thun die war¬ "men Tropfen weh, die aus den Augen auf die "Seele fallen, so wie man blos im Winter die Blu¬ "men nicht warm begießen darf." Und warum sollt' ich Ihrer offenherzigen Seele nicht alle Schwä¬ chen der meinigen offenbaren? Dieses Zimmer, worin meine Giulia ihr schönes Leben endigte, die¬
einen Blumengarten. Ich habe niemals einen Fruͤh¬ ling ſo gern und ſo freudig angeſehen wie dieſen — ich kann oft noch bei Mondſchein an die Baͤche hin¬ ausgehen und eine Blume aufſuchen, die vor dem fließenden Spiegel zittert und um die ein Mond oben und einer unten ſchimmert und ich ſtelle mir das Blumenfeſt in Morgenland vor, bei dem man (wie man ſagt) zu Nachts um jede Gartenblume ei¬ nen Spiegel und zwei Lichter ſetzt. Aber doch kann ich nicht zum Blumenflor meines Lehrers hinuͤber¬ blicken, ohne zu weich zu werden, da ich denken muß, wer weiß ob ſeine Tulpen nicht laͤnger ſtehen als ſeine geknickte Geſtalt. Hat denn die ganze Ar¬ zeneikunſt kein Mittel, das ſeine Hoffnung zu ſter¬ ben vereitelt? — Ich glaube, er ſtimmt mich nach und nach in ſeinen melancholiſchen Ton, womit ich mich vor einem andern als dem Freunde Emanuels laͤcherlich machen wuͤrde; aber eine ſtille verborgene Freude bricht auch gern in Schwermuth aus; »nur »in der kalten, nicht in der ſchoͤnen Jahreszeit un¬ »ſers Schickſals ſagten Sie einmal, thun die war¬ »men Tropfen weh, die aus den Augen auf die »Seele fallen, ſo wie man blos im Winter die Blu¬ »men nicht warm begießen darf.» Und warum ſollt' ich Ihrer offenherzigen Seele nicht alle Schwaͤ¬ chen der meinigen offenbaren? Dieſes Zimmer, worin meine Giulia ihr ſchoͤnes Leben endigte, die¬
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einen Blumengarten. Ich habe niemals einen Fruͤh¬
ling ſo gern und ſo freudig angeſehen wie dieſen —
ich kann oft noch bei Mondſchein an die Baͤche hin¬
ausgehen und eine Blume aufſuchen, die vor dem
fließenden Spiegel zittert und um die ein Mond
oben und einer unten ſchimmert und ich ſtelle mir
das Blumenfeſt in Morgenland vor, bei dem man
(wie man ſagt) zu Nachts um jede Gartenblume ei¬
nen Spiegel und zwei Lichter ſetzt. Aber doch kann
ich nicht zum Blumenflor meines Lehrers hinuͤber¬
blicken, ohne zu weich zu werden, da ich denken
muß, wer weiß ob ſeine Tulpen nicht laͤnger ſtehen
als ſeine geknickte Geſtalt. Hat denn die ganze Ar¬
zeneikunſt kein Mittel, das ſeine Hoffnung zu ſter¬
ben vereitelt? — Ich glaube, er ſtimmt mich nach
und nach in ſeinen melancholiſchen Ton, womit ich
mich vor einem andern als dem Freunde Emanuels
laͤcherlich machen wuͤrde; aber eine ſtille verborgene
Freude bricht auch gern in Schwermuth aus; »nur
»in der kalten, nicht in der ſchoͤnen Jahreszeit un¬
»ſers Schickſals ſagten Sie einmal, thun die war¬
»men Tropfen weh, die aus den Augen auf die
»Seele fallen, ſo wie man blos im Winter die Blu¬
»men nicht warm begießen darf.» Und warum
ſollt' ich Ihrer offenherzigen Seele nicht alle Schwaͤ¬
chen der meinigen offenbaren? Dieſes Zimmer,
worin meine Giulia ihr ſchoͤnes Leben endigte, die¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/63>, abgerufen am 21.11.2024.
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