Hände, die von hinten durch das Rückenfenster sich hereingearbeitet hatten eine Bienenkappe über mei¬ nen Kopf, schnallten sie hurtig um den Hals mit ei¬ nem Vorlegschloß, verschränkten und verdeckten meine Augen, und mich selber ergriffen, hielten und banden zehn bis zwölf andere Hände. Das Schlimste bei so etwas ist, daß man denkt, man wird todt¬ geschlagen und von seinen Juwelenkäftgen entblöst: nun kann man aber einen Antor, der sein Buch noch nicht hinaus gemacht hat, nicht ärgerlicher und ver¬ drießlicher machen, als wenn man ihn erschlägt. Kein Mensch will in einem Plane sterben; und doch trägt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich auf¬ knospende, grüne, halb reife und ganz reife Plane. Ich suchte also mein Leben mit einer Tapferkeit zu verfechten -- weil mir um's 45te Kapitel und dessen Kunstrichter zu thun war --, daß ich -- ich kann es sagen -- vier bis fünf Prinzenräuber leicht über¬ meistert hätte, wär' es nicht ein halb Dutzend ge¬ wesen. Ich streckte das Gewehr, behauptete aber das Schlachtfeld, nämlich das Kutsch-Kissen und merkte überhaupt, daß man den Berghauptmann nicht sowol todt machen wollen als blind. Es wurde noch abentheuerlicher -- mein eigner Kerl wurde nicht vom Throne seines Bocks gestürzt -- mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachsenfin¬ gen -- zwei Herren setzten sich zu mir hinein, die
Haͤnde, die von hinten durch das Ruͤckenfenſter ſich hereingearbeitet hatten eine Bienenkappe uͤber mei¬ nen Kopf, ſchnallten ſie hurtig um den Hals mit ei¬ nem Vorlegſchloß, verſchraͤnkten und verdeckten meine Augen, und mich ſelber ergriffen, hielten und banden zehn bis zwoͤlf andere Haͤnde. Das Schlimſte bei ſo etwas iſt, daß man denkt, man wird todt¬ geſchlagen und von ſeinen Juwelenkaͤftgen entbloͤſt: nun kann man aber einen Antor, der ſein Buch noch nicht hinaus gemacht hat, nicht aͤrgerlicher und ver¬ drießlicher machen, als wenn man ihn erſchlaͤgt. Kein Menſch will in einem Plane ſterben; und doch traͤgt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich auf¬ knospende, gruͤne, halb reife und ganz reife Plane. Ich ſuchte alſo mein Leben mit einer Tapferkeit zu verfechten — weil mir um's 45te Kapitel und deſſen Kunſtrichter zu thun war —, daß ich — ich kann es ſagen — vier bis fuͤnf Prinzenraͤuber leicht uͤber¬ meiſtert haͤtte, waͤr' es nicht ein halb Dutzend ge¬ weſen. Ich ſtreckte das Gewehr, behauptete aber das Schlachtfeld, naͤmlich das Kutſch-Kiſſen und merkte uͤberhaupt, daß man den Berghauptmann nicht ſowol todt machen wollen als blind. Es wurde noch abentheuerlicher — mein eigner Kerl wurde nicht vom Throne ſeines Bocks geſtuͤrzt — mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachſenfin¬ gen — zwei Herren ſetzten ſich zu mir hinein, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0432"n="422"/>
Haͤnde, die von hinten durch das Ruͤckenfenſter ſich<lb/>
hereingearbeitet hatten eine Bienenkappe uͤber mei¬<lb/>
nen Kopf, ſchnallten ſie hurtig um den Hals mit ei¬<lb/>
nem Vorlegſchloß, verſchraͤnkten und verdeckten<lb/>
meine Augen, und mich ſelber ergriffen, hielten und<lb/>
banden zehn bis zwoͤlf andere Haͤnde. Das Schlimſte<lb/>
bei ſo etwas iſt, daß man denkt, man wird todt¬<lb/>
geſchlagen und von ſeinen Juwelenkaͤftgen entbloͤſt:<lb/>
nun kann man aber einen Antor, der ſein Buch noch<lb/>
nicht hinaus gemacht hat, nicht aͤrgerlicher und ver¬<lb/>
drießlicher machen, als wenn man ihn erſchlaͤgt.<lb/>
Kein Menſch will in einem Plane ſterben; und doch<lb/>
traͤgt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich auf¬<lb/>
knospende, gruͤne, halb reife und ganz reife Plane.<lb/>
Ich ſuchte alſo mein Leben mit einer Tapferkeit zu<lb/>
verfechten — weil mir um's 45te Kapitel und deſſen<lb/>
Kunſtrichter zu thun war —, daß ich — ich kann es<lb/>ſagen — vier bis fuͤnf Prinzenraͤuber leicht uͤber¬<lb/>
meiſtert haͤtte, waͤr' es nicht ein halb Dutzend ge¬<lb/>
weſen. Ich ſtreckte das Gewehr, behauptete aber<lb/>
das Schlachtfeld, naͤmlich das Kutſch-Kiſſen und<lb/>
merkte uͤberhaupt, daß man den Berghauptmann<lb/>
nicht ſowol todt machen wollen als blind. Es<lb/>
wurde noch abentheuerlicher — mein eigner Kerl<lb/>
wurde nicht vom Throne ſeines Bocks geſtuͤrzt —<lb/>
mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachſenfin¬<lb/>
gen — zwei Herren ſetzten ſich zu mir hinein, die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[422/0432]
Haͤnde, die von hinten durch das Ruͤckenfenſter ſich
hereingearbeitet hatten eine Bienenkappe uͤber mei¬
nen Kopf, ſchnallten ſie hurtig um den Hals mit ei¬
nem Vorlegſchloß, verſchraͤnkten und verdeckten
meine Augen, und mich ſelber ergriffen, hielten und
banden zehn bis zwoͤlf andere Haͤnde. Das Schlimſte
bei ſo etwas iſt, daß man denkt, man wird todt¬
geſchlagen und von ſeinen Juwelenkaͤftgen entbloͤſt:
nun kann man aber einen Antor, der ſein Buch noch
nicht hinaus gemacht hat, nicht aͤrgerlicher und ver¬
drießlicher machen, als wenn man ihn erſchlaͤgt.
Kein Menſch will in einem Plane ſterben; und doch
traͤgt jeder zu jeder Stunde des Tages zugleich auf¬
knospende, gruͤne, halb reife und ganz reife Plane.
Ich ſuchte alſo mein Leben mit einer Tapferkeit zu
verfechten — weil mir um's 45te Kapitel und deſſen
Kunſtrichter zu thun war —, daß ich — ich kann es
ſagen — vier bis fuͤnf Prinzenraͤuber leicht uͤber¬
meiſtert haͤtte, waͤr' es nicht ein halb Dutzend ge¬
weſen. Ich ſtreckte das Gewehr, behauptete aber
das Schlachtfeld, naͤmlich das Kutſch-Kiſſen und
merkte uͤberhaupt, daß man den Berghauptmann
nicht ſowol todt machen wollen als blind. Es
wurde noch abentheuerlicher — mein eigner Kerl
wurde nicht vom Throne ſeines Bocks geſtuͤrzt —
mein Wagen blieb auf dem Wege nach Flachſenfin¬
gen — zwei Herren ſetzten ſich zu mir hinein, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/432>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.