und fliehet oder seinen guten Lord, der vielleicht schon im Erdball ruht, oder seinen Emanuel, des¬ sen liebende Arme schon zerfallen? -- "Ja bloß die¬ "sen geht mein Sterben an, (sagt' er): denn Da¬ "hore wird sich sehnen nach seinem treuen Schüler, "er wird in einer Sonne die Arme öffnen und auf "den Weg zur Erde niederschauen und ich werde her¬ "aufkommen mit einer großen Wunde auf der Brust "und mein strömendes Herz wird nackt auf der "Wunde liegen -- o Emanuel, verschmäh' mich "nicht, werd' ich schreien, ich war ja unglücklich, "seit du gestorben bist, nimm mich an und heile "die Wunde!"
-- "Siehst du meinen Vater?" sagte der blin¬ de Julius, und sein Angesicht nahte sich einer lä¬ chelnden Entzückung. Viktor erschrack und sagte: ich rede mit ihm, aber ich sehe ihn nicht! -- Aber das hielt sein Erheben an. Er war bisher der Paraklet und Krankenwärter des armen blinden gewesen: er konnt' ihn nicht verlassen, er mußte den Retraiteschuß des Lebens verschieben auf Klotildens Ankunft, damit diese den Hülflosen be¬ schirme. Ach der gute Nachtwandler, und Nacht¬ sitzer (im eigentlichen Sinn) hatte anfangs jeden Tag seinen Viktor gebeten, ihm ins Auge zu ste¬ chen und das Licht wieder zu geben, eh' sein theue¬ re Vater auseinander gefallen wäre, damit er das
und fliehet oder ſeinen guten Lord, der vielleicht ſchon im Erdball ruht, oder ſeinen Emanuel, deſ¬ ſen liebende Arme ſchon zerfallen? — »Ja bloß die¬ »ſen geht mein Sterben an, (ſagt' er): denn Da¬ »hore wird ſich ſehnen nach ſeinem treuen Schuͤler, »er wird in einer Sonne die Arme oͤffnen und auf »den Weg zur Erde niederſchauen und ich werde her¬ »aufkommen mit einer großen Wunde auf der Bruſt »und mein ſtroͤmendes Herz wird nackt auf der »Wunde liegen — o Emanuel, verſchmaͤh' mich »nicht, werd' ich ſchreien, ich war ja ungluͤcklich, »ſeit du geſtorben biſt, nimm mich an und heile »die Wunde!«
— »Siehſt du meinen Vater?» ſagte der blin¬ de Julius, und ſein Angeſicht nahte ſich einer laͤ¬ chelnden Entzuͤckung. Viktor erſchrack und ſagte: ich rede mit ihm, aber ich ſehe ihn nicht! — Aber das hielt ſein Erheben an. Er war bisher der Paraklet und Krankenwaͤrter des armen blinden geweſen: er konnt' ihn nicht verlaſſen, er mußte den Retraiteſchuß des Lebens verſchieben auf Klotildens Ankunft, damit dieſe den Huͤlfloſen be¬ ſchirme. Ach der gute Nachtwandler, und Nacht¬ ſitzer (im eigentlichen Sinn) hatte anfangs jeden Tag ſeinen Viktor gebeten, ihm ins Auge zu ſte¬ chen und das Licht wieder zu geben, eh' ſein theue¬ re Vater auseinander gefallen waͤre, damit er das
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und fliehet oder ſeinen guten Lord, der vielleicht
ſchon im Erdball ruht, oder ſeinen Emanuel, deſ¬
ſen liebende Arme ſchon zerfallen? — »Ja bloß die¬
»ſen geht mein Sterben an, (ſagt' er): denn Da¬
»hore wird ſich ſehnen nach ſeinem treuen Schuͤler,
»er wird in einer Sonne die Arme oͤffnen und auf
»den Weg zur Erde niederſchauen und ich werde her¬
»aufkommen mit einer großen Wunde auf der Bruſt
»und mein ſtroͤmendes Herz wird nackt auf der
»Wunde liegen — o Emanuel, verſchmaͤh' mich
»nicht, werd' ich ſchreien, ich war ja ungluͤcklich,
»ſeit du geſtorben biſt, nimm mich an und heile
»die Wunde!«
— »Siehſt du meinen Vater?» ſagte der blin¬
de Julius, und ſein Angeſicht nahte ſich einer laͤ¬
chelnden Entzuͤckung. Viktor erſchrack und ſagte:
ich rede mit ihm, aber ich ſehe ihn nicht! —
Aber das hielt ſein Erheben an. Er war bisher
der Paraklet und Krankenwaͤrter des armen blinden
geweſen: er konnt' ihn nicht verlaſſen, er mußte
den Retraiteſchuß des Lebens verſchieben auf
Klotildens Ankunft, damit dieſe den Huͤlfloſen be¬
ſchirme. Ach der gute Nachtwandler, und Nacht¬
ſitzer (im eigentlichen Sinn) hatte anfangs jeden
Tag ſeinen Viktor gebeten, ihm ins Auge zu ſte¬
chen und das Licht wieder zu geben, eh' ſein theue¬
re Vater auseinander gefallen waͤre, damit er das
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/367>, abgerufen am 23.11.2024.
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