und bestraft, da oft der Eigennützigste am Hofe zu ihr seine guten Gründe haben kann.
Viktor ging trübe in sein Zimmer und sah das Portrait Flamins an und sagte: "o! das wolle der "Himmel nicht, daß du Armer nicht mehr zu retten "wärest." Viktor konnte sich überhaupt drei Tage nach einer Beleidigung nicht mehr rächen: "ich ver¬ "gebe jedem, sagt' er sonst, nur Freunden und Mäd¬ "gen nicht, weil ich beide zu lieb habe." Aber welche Hand, welchen Zweig konnt' er dem sinken¬ den Flamin hinunterreichen ins Gefängniß? -- Alles was er vermochte, war zum Fürsten zu gehen mit einer nackten Bitte um dessen Begnadigung. Tausend Aufopferungen unterbleiben, weil man nicht ganz gewiß ist, daß sie ihre rechten Früchte bringen. Aber Viktor gieng doch: er hatte sich die goldne Regel gemacht: für den Andern auch dann zu handeln, wenn der Erfolg nicht gewiß zu hoffen ist. Denn wollten wir erst diese Gewißheit abwarten: so würden Aufopferungen eben so selten als unverdienstlich werden.
Er gieng zum Fürsten nach langer Zeit zum er¬ stenmal -- hatte den Nachtheil wider sich, eine lan¬ ge Abwesenheit mit einer Bitte zu endigen -- sprach mit dem Feuer des Einsamen für seinen Flamin -- flehte den Fürsten um den Aufschub des Schicksals desselben an, bis der Lord wiederkehrte -- erhielt die
und beſtraft, da oft der Eigennuͤtzigſte am Hofe zu ihr ſeine guten Gruͤnde haben kann.
Viktor ging truͤbe in ſein Zimmer und ſah das Portrait Flamins an und ſagte: »o! das wolle der »Himmel nicht, daß du Armer nicht mehr zu retten »waͤreſt.» Viktor konnte ſich uͤberhaupt drei Tage nach einer Beleidigung nicht mehr raͤchen: »ich ver¬ »gebe jedem, ſagt' er ſonſt, nur Freunden und Maͤd¬ »gen nicht, weil ich beide zu lieb habe.« Aber welche Hand, welchen Zweig konnt' er dem ſinken¬ den Flamin hinunterreichen ins Gefaͤngniß? — Alles was er vermochte, war zum Fuͤrſten zu gehen mit einer nackten Bitte um deſſen Begnadigung. Tauſend Aufopferungen unterbleiben, weil man nicht ganz gewiß iſt, daß ſie ihre rechten Fruͤchte bringen. Aber Viktor gieng doch: er hatte ſich die goldne Regel gemacht: fuͤr den Andern auch dann zu handeln, wenn der Erfolg nicht gewiß zu hoffen iſt. Denn wollten wir erſt dieſe Gewißheit abwarten: ſo wuͤrden Aufopferungen eben ſo ſelten als unverdienſtlich werden.
Er gieng zum Fuͤrſten nach langer Zeit zum er¬ ſtenmal — hatte den Nachtheil wider ſich, eine lan¬ ge Abweſenheit mit einer Bitte zu endigen — ſprach mit dem Feuer des Einſamen fuͤr ſeinen Flamin — flehte den Fuͤrſten um den Aufſchub des Schickſals deſſelben an, bis der Lord wiederkehrte — erhielt die
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und beſtraft, da oft der Eigennuͤtzigſte am Hofe zu
ihr ſeine guten Gruͤnde haben kann.
Viktor ging truͤbe in ſein Zimmer und ſah das
Portrait Flamins an und ſagte: »o! das wolle der
»Himmel nicht, daß du Armer nicht mehr zu retten
»waͤreſt.» Viktor konnte ſich uͤberhaupt drei Tage
nach einer Beleidigung nicht mehr raͤchen: »ich ver¬
»gebe jedem, ſagt' er ſonſt, nur Freunden und Maͤd¬
»gen nicht, weil ich beide zu lieb habe.« Aber
welche Hand, welchen Zweig konnt' er dem ſinken¬
den Flamin hinunterreichen ins Gefaͤngniß? —
Alles was er vermochte, war zum Fuͤrſten zu gehen
mit einer nackten Bitte um deſſen Begnadigung.
Tauſend Aufopferungen unterbleiben, weil man nicht
ganz gewiß iſt, daß ſie ihre rechten Fruͤchte bringen.
Aber Viktor gieng doch: er hatte ſich die goldne
Regel gemacht: fuͤr den Andern auch dann zu
handeln, wenn der Erfolg nicht gewiß zu
hoffen iſt. Denn wollten wir erſt dieſe Gewißheit
abwarten: ſo wuͤrden Aufopferungen eben ſo ſelten
als unverdienſtlich werden.
Er gieng zum Fuͤrſten nach langer Zeit zum er¬
ſtenmal — hatte den Nachtheil wider ſich, eine lan¬
ge Abweſenheit mit einer Bitte zu endigen — ſprach
mit dem Feuer des Einſamen fuͤr ſeinen Flamin —
flehte den Fuͤrſten um den Aufſchub des Schickſals
deſſelben an, bis der Lord wiederkehrte — erhielt die
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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