und mit dem wenigen Licht, das noch in zwei nasse Augen kam, rangen sie sich mit dem zerknickten En¬ gel, indeß zwei arbeitende Schatten neben ihnen fürchterlich einen dritten im Schimmer trugen, vom Berge in die Wiesen herunter: hier ging Viktor allein in's Dorf, um vielleicht einen tröstlichern als einen Leichenwagen zu besorgen. Der Blinde hielt sich an einen Birkenbaum, Emanuel schlief wie die andern Blumen und auf ihnen, vor dem Monde. .. Aber Julius hörte plötzlich den Todten reden und ihn durch das Gras streifen; und er rannte von Ent¬ setzen verfolget, davon. . . .
-- Genius der Träume! der du durch den neblich¬ ten Schlaf der Sterblichen trittst und vor der ein¬ samen in einen Leichnam gesperrten Seele die glück¬ lichen Inseln der Kindheit herauf ziehest, ach der du darin unsern verwes'ten Freunden wieder Wangen¬ blüte giebst und unserm armen wahnsinnigen Herzen vergangne Himmel zeigst und Eden-Wiederschein und rinnende Auen auf Wolken! -- Magischer Genins! trete in diese heilige Nacht vor einen Menschen, der nicht schläft und wende deinen überflorten Spie¬ gel auf mein ofnes Auge, damit ich darin die elysi¬ sche Lichtwelt, die mit unserm Erdschatten käm¬ pfet, in der doppelten Verfinsterung als eine blasse Luna sehe *) und mahle! -- --
*) Die Sonne wird in ihrer Verfinsterung durch den Mond von uns in beflorten Spiegel angeschaut.
und mit dem wenigen Licht, das noch in zwei naſſe Augen kam, rangen ſie ſich mit dem zerknickten En¬ gel, indeß zwei arbeitende Schatten neben ihnen fuͤrchterlich einen dritten im Schimmer trugen, vom Berge in die Wieſen herunter: hier ging Viktor allein in's Dorf, um vielleicht einen troͤſtlichern als einen Leichenwagen zu beſorgen. Der Blinde hielt ſich an einen Birkenbaum, Emanuel ſchlief wie die andern Blumen und auf ihnen, vor dem Monde. .. Aber Julius hoͤrte ploͤtzlich den Todten reden und ihn durch das Gras ſtreifen; und er rannte von Ent¬ ſetzen verfolget, davon. . . .
— Genius der Traͤume! der du durch den neblich¬ ten Schlaf der Sterblichen trittſt und vor der ein¬ ſamen in einen Leichnam geſperrten Seele die gluͤck¬ lichen Inſeln der Kindheit herauf zieheſt, ach der du darin unſern verweſ'ten Freunden wieder Wangen¬ bluͤte giebſt und unſerm armen wahnſinnigen Herzen vergangne Himmel zeigſt und Eden-Wiederſchein und rinnende Auen auf Wolken! — Magiſcher Genins! trete in dieſe heilige Nacht vor einen Menſchen, der nicht ſchlaͤft und wende deinen uͤberflorten Spie¬ gel auf mein ofnes Auge, damit ich darin die elyſi¬ ſche Lichtwelt, die mit unſerm Erdſchatten kaͤm¬ pfet, in der doppelten Verfinſterung als eine blaſſe Luna ſehe *) und mahle! — —
*) Die Sonne wird in ihrer Verfinſterung durch den Mond von uns in beflorten Spiegel angeſchaut.
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und mit dem wenigen Licht, das noch in zwei naſſe
Augen kam, rangen ſie ſich mit dem zerknickten En¬
gel, indeß zwei arbeitende Schatten neben ihnen
fuͤrchterlich einen dritten im Schimmer trugen, vom
Berge in die Wieſen herunter: hier ging Viktor
allein in's Dorf, um vielleicht einen troͤſtlichern als
einen Leichenwagen zu beſorgen. Der Blinde hielt
ſich an einen Birkenbaum, Emanuel ſchlief wie die
andern Blumen und auf ihnen, vor dem Monde. ..
Aber Julius hoͤrte ploͤtzlich den Todten reden und
ihn durch das Gras ſtreifen; und er rannte von Ent¬
ſetzen verfolget, davon. . . .
— Genius der Traͤume! der du durch den neblich¬
ten Schlaf der Sterblichen trittſt und vor der ein¬
ſamen in einen Leichnam geſperrten Seele die gluͤck¬
lichen Inſeln der Kindheit herauf zieheſt, ach der du
darin unſern verweſ'ten Freunden wieder Wangen¬
bluͤte giebſt und unſerm armen wahnſinnigen Herzen
vergangne Himmel zeigſt und Eden-Wiederſchein und
rinnende Auen auf Wolken! — Magiſcher Genins!
trete in dieſe heilige Nacht vor einen Menſchen, der
nicht ſchlaͤft und wende deinen uͤberflorten Spie¬
gel auf mein ofnes Auge, damit ich darin die elyſi¬
ſche Lichtwelt, die mit unſerm Erdſchatten kaͤm¬
pfet, in der doppelten Verfinſterung als eine blaſſe
Luna ſehe *) und mahle! — —
*) Die Sonne wird in ihrer Verfinſterung durch den Mond
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/288>, abgerufen am 25.11.2024.
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