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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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niger Wehmuth zurück rufen, er (Viktor) komme
nach Zwölfen wieder.

In dem kahlen Abendgruß "gute Nacht, schlaft
wohl" den Emanuel gab und bekam, war mehr
Thränenstof als in ganzen Elegien und Abschiedsre¬
den: so sehr sind die Worte nur die Inskriptionen
auf unsern Stunden und die Ripienstimmen und die
Bezifferung unserer Grundnoten.

Sobald Emanuel vor den Nachthimmel, vor den
daran angeketteten Orkan und vor seinen Todtenberg
trat: so hoben Engel seine erweichte Seele wieder --
er sah den Tod vom Himmel steigen und auf seinem
Grabe den Freiheitsbaum aufrichten -- er sah die
freundlichen Sterne näher kommen und es waren die
himmlischen Augen seiner Freunde und aller seeligen
Wesen. Viktor durfte seine dichterischen Hofnungen
durch keine Gründe stören: vielmehr wurd' er selber von
Stunde zu Stunde tiefer in den Glauben an seinen
Tod hineingezogen; wenigstens fürchtete er, daß der
heutige Entzückungs-Sturm die mürbe Wohnung
dieses schönen Herzens und seiner Seufzer zertrennen
und daß der Tod so lange um die edle Seele schlei¬
chen würde bis er sie an ihren Flügel, wenn sie in
Wonne sie aufrichtete, vom Leben pflücken könnte
wie Kinder den Schmetterling so lang umgehen bis
er auf seiner Blume die Schwingen an einander ge¬
falltet in die räuberischen Finger erhebt.

niger Wehmuth zuruͤck rufen, er (Viktor) komme
nach Zwoͤlfen wieder.

In dem kahlen Abendgruß »gute Nacht, ſchlaft
wohl« den Emanuel gab und bekam, war mehr
Thraͤnenſtof als in ganzen Elegien und Abſchiedsre¬
den: ſo ſehr ſind die Worte nur die Inſkriptionen
auf unſern Stunden und die Ripienſtimmen und die
Bezifferung unſerer Grundnoten.

Sobald Emanuel vor den Nachthimmel, vor den
daran angeketteten Orkan und vor ſeinen Todtenberg
trat: ſo hoben Engel ſeine erweichte Seele wieder —
er ſah den Tod vom Himmel ſteigen und auf ſeinem
Grabe den Freiheitsbaum aufrichten — er ſah die
freundlichen Sterne naͤher kommen und es waren die
himmliſchen Augen ſeiner Freunde und aller ſeeligen
Weſen. Viktor durfte ſeine dichteriſchen Hofnungen
durch keine Gruͤnde ſtoͤren: vielmehr wurd' er ſelber von
Stunde zu Stunde tiefer in den Glauben an ſeinen
Tod hineingezogen; wenigſtens fuͤrchtete er, daß der
heutige Entzuͤckungs-Sturm die muͤrbe Wohnung
dieſes ſchoͤnen Herzens und ſeiner Seufzer zertrennen
und daß der Tod ſo lange um die edle Seele ſchlei¬
chen wuͤrde bis er ſie an ihren Fluͤgel, wenn ſie in
Wonne ſie aufrichtete, vom Leben pfluͤcken koͤnnte
wie Kinder den Schmetterling ſo lang umgehen bis
er auf ſeiner Blume die Schwingen an einander ge¬
falltet in die raͤuberiſchen Finger erhebt.

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[268/0278] niger Wehmuth zuruͤck rufen, er (Viktor) komme nach Zwoͤlfen wieder. In dem kahlen Abendgruß »gute Nacht, ſchlaft wohl« den Emanuel gab und bekam, war mehr Thraͤnenſtof als in ganzen Elegien und Abſchiedsre¬ den: ſo ſehr ſind die Worte nur die Inſkriptionen auf unſern Stunden und die Ripienſtimmen und die Bezifferung unſerer Grundnoten. Sobald Emanuel vor den Nachthimmel, vor den daran angeketteten Orkan und vor ſeinen Todtenberg trat: ſo hoben Engel ſeine erweichte Seele wieder — er ſah den Tod vom Himmel ſteigen und auf ſeinem Grabe den Freiheitsbaum aufrichten — er ſah die freundlichen Sterne naͤher kommen und es waren die himmliſchen Augen ſeiner Freunde und aller ſeeligen Weſen. Viktor durfte ſeine dichteriſchen Hofnungen durch keine Gruͤnde ſtoͤren: vielmehr wurd' er ſelber von Stunde zu Stunde tiefer in den Glauben an ſeinen Tod hineingezogen; wenigſtens fuͤrchtete er, daß der heutige Entzuͤckungs-Sturm die muͤrbe Wohnung dieſes ſchoͤnen Herzens und ſeiner Seufzer zertrennen und daß der Tod ſo lange um die edle Seele ſchlei¬ chen wuͤrde bis er ſie an ihren Fluͤgel, wenn ſie in Wonne ſie aufrichtete, vom Leben pfluͤcken koͤnnte wie Kinder den Schmetterling ſo lang umgehen bis er auf ſeiner Blume die Schwingen an einander ge¬ falltet in die raͤuberiſchen Finger erhebt.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/278>, abgerufen am 19.05.2024.