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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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ge Güte unser Herz bedeckt, und alle Wonnegefilde,
durch die ihre sanfte Hand den ungewissen Menschen
führt, wie Engel vorüberflogen -- und da er die
künftigen Himmel näher rücken sah, in die der Weg
des Lebens geht -- und da er sah diese unendlichen
Arme alle wunde Herzen decken, über alle Jahrtau¬
sende reichen, alle Welten tragen und ihn, ihn klei¬
nen Erdensohn doch auch: o da konnte er unmöglich
das volle Herz mehr halten, es brach ihm vor Dank
und aus seinen Augen fielen die ersten -- Thränen
seines Daseyns. Diese heilige Tropfen verwischte
er nicht: in ihnen zerlief die Abendröthe in ein lo¬
derndes Meer; die Flöte verhallete; Horion fand die
schimmernden Augen noch; Emanuel sagte: o sieh'
ich weine vor Freude über meinen Schöpfer.-- --
Dann gab es unter den erhabnen Menschen, an die¬
ser heiligen Stätte keine Worte mehr -- der Tod
hatte seine Gestalt verloren -- eine erhabne Trauer
betäubte die Schmerzen der Trennung -- die Sonne,
mit Erde bedeckt, berührte mit ihren aufgerichteten
Stralen den Himmel und die Nacht und den Boden
der Wolken -- die Erde schimmerte magisch wie
eine Traum-Landschaft, und doch war es leicht aus
ihr zu weichen, denn den Himmel bedeckten die an¬
dern Traum-Landschaften.

Die Erden der Nacht (die Planeten) traten schon
auf, die Sonnen der Nacht (die Fixsterne) gingen

ge Guͤte unſer Herz bedeckt, und alle Wonnegefilde,
durch die ihre ſanfte Hand den ungewiſſen Menſchen
fuͤhrt, wie Engel voruͤberflogen — und da er die
kuͤnftigen Himmel naͤher ruͤcken ſah, in die der Weg
des Lebens geht — und da er ſah dieſe unendlichen
Arme alle wunde Herzen decken, uͤber alle Jahrtau¬
ſende reichen, alle Welten tragen und ihn, ihn klei¬
nen Erdenſohn doch auch: o da konnte er unmoͤglich
das volle Herz mehr halten, es brach ihm vor Dank
und aus ſeinen Augen fielen die erſten — Thraͤnen
ſeines Daſeyns. Dieſe heilige Tropfen verwiſchte
er nicht: in ihnen zerlief die Abendroͤthe in ein lo¬
derndes Meer; die Floͤte verhallete; Horion fand die
ſchimmernden Augen noch; Emanuel ſagte: o ſieh'
ich weine vor Freude uͤber meinen Schoͤpfer.— —
Dann gab es unter den erhabnen Menſchen, an die¬
ſer heiligen Staͤtte keine Worte mehr — der Tod
hatte ſeine Geſtalt verloren — eine erhabne Trauer
betaͤubte die Schmerzen der Trennung — die Sonne,
mit Erde bedeckt, beruͤhrte mit ihren aufgerichteten
Stralen den Himmel und die Nacht und den Boden
der Wolken — die Erde ſchimmerte magiſch wie
eine Traum-Landſchaft, und doch war es leicht aus
ihr zu weichen, denn den Himmel bedeckten die an¬
dern Traum-Landſchaften.

Die Erden der Nacht (die Planeten) traten ſchon
auf, die Sonnen der Nacht (die Fixſterne) gingen

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[266/0276] ge Guͤte unſer Herz bedeckt, und alle Wonnegefilde, durch die ihre ſanfte Hand den ungewiſſen Menſchen fuͤhrt, wie Engel voruͤberflogen — und da er die kuͤnftigen Himmel naͤher ruͤcken ſah, in die der Weg des Lebens geht — und da er ſah dieſe unendlichen Arme alle wunde Herzen decken, uͤber alle Jahrtau¬ ſende reichen, alle Welten tragen und ihn, ihn klei¬ nen Erdenſohn doch auch: o da konnte er unmoͤglich das volle Herz mehr halten, es brach ihm vor Dank und aus ſeinen Augen fielen die erſten — Thraͤnen ſeines Daſeyns. Dieſe heilige Tropfen verwiſchte er nicht: in ihnen zerlief die Abendroͤthe in ein lo¬ derndes Meer; die Floͤte verhallete; Horion fand die ſchimmernden Augen noch; Emanuel ſagte: o ſieh' ich weine vor Freude uͤber meinen Schoͤpfer.— — Dann gab es unter den erhabnen Menſchen, an die¬ ſer heiligen Staͤtte keine Worte mehr — der Tod hatte ſeine Geſtalt verloren — eine erhabne Trauer betaͤubte die Schmerzen der Trennung — die Sonne, mit Erde bedeckt, beruͤhrte mit ihren aufgerichteten Stralen den Himmel und die Nacht und den Boden der Wolken — die Erde ſchimmerte magiſch wie eine Traum-Landſchaft, und doch war es leicht aus ihr zu weichen, denn den Himmel bedeckten die an¬ dern Traum-Landſchaften. Die Erden der Nacht (die Planeten) traten ſchon auf, die Sonnen der Nacht (die Fixſterne) gingen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/276>, abgerufen am 22.11.2024.