sondern mit einem höhern Entzücken, das sich jen¬ seits des Erden-Lenzes noch schönere versprach, machte er sich von jeder Blume loß, ging er durch jedes Laub Gewinde und Schatten Nachtstück hin¬ durch, zog er seine in der Erde liegende verklärte Gestalt aus jedem Spiegelteiche und eine liebevolle¬ re Aufmerksamkeit auf die Natur zeigte an, daß er heute Nachts dem näher zu komnen hoffte, der sie geschaffen. Er versuchte und Viktor vermied von allem diesen zu reden. "Nur nicht zum letztenma¬ "le!" sagte dieser. "Nicht? (sagte Emanuel) -- "Geschieht nicht alles nur Einmal und zum letzten¬ "male? -- Scheidet uns nicht der Herbst und die "Zeit so gut wie der Tod, von allem? -- Trennt "sich nicht alles von uns, wenn wir uns auch nicht "von ihm trennen? -- Die Zeit ist nichts als ein "Tod mit sanftern dünnern Sicheln; -- jede Mi¬ "nute ist der Herbst der vergangnen und die zweite "Welt wird der Frühling einer dritten seyn. -- -- "Ach wenn ich einmal wieder aus der Blumenfläche "einer zweiten weiche, und wenn ich am himmli¬ "schen Sterbetag das Zwielicht von der Erinnerung "zweier Leben sehe -- -- o in der Zukunft ruht "eine Anlage zur unendlichen Wonne so gut wie zur "Qual, warum schauert der Mensch nur vor die¬ "ser?" -- Viktor bestritt die künftige Erinnerung. "Ohne Erinnerung (sagte Emanuel) giebt's kein Le¬
ſondern mit einem hoͤhern Entzuͤcken, das ſich jen¬ ſeits des Erden-Lenzes noch ſchoͤnere verſprach, machte er ſich von jeder Blume loß, ging er durch jedes Laub Gewinde und Schatten Nachtſtuͤck hin¬ durch, zog er ſeine in der Erde liegende verklaͤrte Geſtalt aus jedem Spiegelteiche und eine liebevolle¬ re Aufmerkſamkeit auf die Natur zeigte an, daß er heute Nachts dem naͤher zu komnen hoffte, der ſie geſchaffen. Er verſuchte und Viktor vermied von allem dieſen zu reden. »Nur nicht zum letztenma¬ »le!» ſagte dieſer. »Nicht? (ſagte Emanuel) — »Geſchieht nicht alles nur Einmal und zum letzten¬ »male? — Scheidet uns nicht der Herbſt und die »Zeit ſo gut wie der Tod, von allem? — Trennt »ſich nicht alles von uns, wenn wir uns auch nicht »von ihm trennen? — Die Zeit iſt nichts als ein »Tod mit ſanftern duͤnnern Sicheln; — jede Mi¬ »nute iſt der Herbſt der vergangnen und die zweite »Welt wird der Fruͤhling einer dritten ſeyn. — — »Ach wenn ich einmal wieder aus der Blumenflaͤche »einer zweiten weiche, und wenn ich am himmli¬ »ſchen Sterbetag das Zwielicht von der Erinnerung »zweier Leben ſehe — — o in der Zukunft ruht »eine Anlage zur unendlichen Wonne ſo gut wie zur »Qual, warum ſchauert der Menſch nur vor die¬ »ſer?» — Viktor beſtritt die kuͤnftige Erinnerung. »Ohne Erinnerung (ſagte Emanuel) giebt's kein Le¬
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ſondern mit einem hoͤhern Entzuͤcken, das ſich jen¬
ſeits des Erden-Lenzes noch ſchoͤnere verſprach,
machte er ſich von jeder Blume loß, ging er durch
jedes Laub Gewinde und Schatten Nachtſtuͤck hin¬
durch, zog er ſeine in der Erde liegende verklaͤrte
Geſtalt aus jedem Spiegelteiche und eine liebevolle¬
re Aufmerkſamkeit auf die Natur zeigte an, daß er
heute Nachts dem naͤher zu komnen hoffte, der ſie
geſchaffen. Er verſuchte und Viktor vermied von
allem dieſen zu reden. »Nur nicht zum letztenma¬
»le!» ſagte dieſer. »Nicht? (ſagte Emanuel) —
»Geſchieht nicht alles nur Einmal und zum letzten¬
»male? — Scheidet uns nicht der Herbſt und die
»Zeit ſo gut wie der Tod, von allem? — Trennt
»ſich nicht alles von uns, wenn wir uns auch nicht
»von ihm trennen? — Die Zeit iſt nichts als ein
»Tod mit ſanftern duͤnnern Sicheln; — jede Mi¬
»nute iſt der Herbſt der vergangnen und die zweite
»Welt wird der Fruͤhling einer dritten ſeyn. — —
»Ach wenn ich einmal wieder aus der Blumenflaͤche
»einer zweiten weiche, und wenn ich am himmli¬
»ſchen Sterbetag das Zwielicht von der Erinnerung
»zweier Leben ſehe — — o in der Zukunft ruht
»eine Anlage zur unendlichen Wonne ſo gut wie zur
»Qual, warum ſchauert der Menſch nur vor die¬
»ſer?» — Viktor beſtritt die kuͤnftige Erinnerung.
»Ohne Erinnerung (ſagte Emanuel) giebt's kein Le¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/270>, abgerufen am 18.05.2024.
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