-- beim größten Unglauben an Emanuels Tod -- nicht aushalten, es zu hören, wie ihm Emanuel den blinden Julius, dem man diesen Tod verbarg, von weitem mit den leisen Worten übergab: "hab' ihn "lieb wie ich, versorge, beschirme den Armen bis "du ihn dem Lord Horion übergeben kannst." Sei¬ ne bebenden Hände konnten kaum ein Paket an die¬ sen Lord annehmen, das ihm der Liebling mit zärt¬ lichen Augen und mit den Worten reichte: "wenn "diese Siegel geöfnet werden, so haben meine Eide "aufgehört und du erfähr'st alles." Denn sein zar¬ tes Gewissen verstattete ihm nur den Inhalt, nicht das Daseyn von Geheimnissen zu verbergen. -- Es wird uns nicht wundern, da Viktors Adern eine Wunde um die andere empfingen, daß er, um nicht durch Wallungen ihr Bluten zu vermehren, den Flötenspieler bat, heute nicht zu spielen: Musik hätte an diesem Tag über sein zerflossenes Herz zu¬ viele Gewalt gehabt.
Den Morgen verbrachten sie in Abschiedsbesuchen bei alten Steigen, Lauben und Anhöhen; aber Ema¬ nuel machte hier nicht die grelle, tobende Forcerolle des fünften Akts; er schlug auf einer Erde, wo der Tod graset, keinen unphilosophischen Lärmen darüber auf, daß er die Blumen und die Saaten nicht mä¬ hen und das grüne Obst nicht gelben werde sehen:
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— beim groͤßten Unglauben an Emanuels Tod — nicht aushalten, es zu hoͤren, wie ihm Emanuel den blinden Julius, dem man dieſen Tod verbarg, von weitem mit den leiſen Worten uͤbergab: »hab' ihn »lieb wie ich, verſorge, beſchirme den Armen bis »du ihn dem Lord Horion uͤbergeben kannſt.» Sei¬ ne bebenden Haͤnde konnten kaum ein Paket an die¬ ſen Lord annehmen, das ihm der Liebling mit zaͤrt¬ lichen Augen und mit den Worten reichte: »wenn »dieſe Siegel geoͤfnet werden, ſo haben meine Eide »aufgehoͤrt und du erfaͤhr'ſt alles.» Denn ſein zar¬ tes Gewiſſen verſtattete ihm nur den Inhalt, nicht das Daſeyn von Geheimniſſen zu verbergen. — Es wird uns nicht wundern, da Viktors Adern eine Wunde um die andere empfingen, daß er, um nicht durch Wallungen ihr Bluten zu vermehren, den Floͤtenſpieler bat, heute nicht zu ſpielen: Muſik haͤtte an dieſem Tag uͤber ſein zerfloſſenes Herz zu¬ viele Gewalt gehabt.
Den Morgen verbrachten ſie in Abſchiedsbeſuchen bei alten Steigen, Lauben und Anhoͤhen; aber Ema¬ nuel machte hier nicht die grelle, tobende Forcerolle des fuͤnften Akts; er ſchlug auf einer Erde, wo der Tod graſet, keinen unphiloſophiſchen Laͤrmen daruͤber auf, daß er die Blumen und die Saaten nicht maͤ¬ hen und das gruͤne Obſt nicht gelben werde ſehen:
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— beim groͤßten Unglauben an Emanuels Tod —
nicht aushalten, es zu hoͤren, wie ihm Emanuel den
blinden Julius, dem man dieſen Tod verbarg, von
weitem mit den leiſen Worten uͤbergab: »hab' ihn
»lieb wie ich, verſorge, beſchirme den Armen bis
»du ihn dem Lord Horion uͤbergeben kannſt.» Sei¬
ne bebenden Haͤnde konnten kaum ein Paket an die¬
ſen Lord annehmen, das ihm der Liebling mit zaͤrt¬
lichen Augen und mit den Worten reichte: »wenn
»dieſe Siegel geoͤfnet werden, ſo haben meine Eide
»aufgehoͤrt und du erfaͤhr'ſt alles.» Denn ſein zar¬
tes Gewiſſen verſtattete ihm nur den Inhalt, nicht
das Daſeyn von Geheimniſſen zu verbergen. — Es
wird uns nicht wundern, da Viktors Adern eine
Wunde um die andere empfingen, daß er, um nicht
durch Wallungen ihr Bluten zu vermehren, den
Floͤtenſpieler bat, heute nicht zu ſpielen: Muſik
haͤtte an dieſem Tag uͤber ſein zerfloſſenes Herz zu¬
viele Gewalt gehabt.
Den Morgen verbrachten ſie in Abſchiedsbeſuchen
bei alten Steigen, Lauben und Anhoͤhen; aber Ema¬
nuel machte hier nicht die grelle, tobende Forcerolle
des fuͤnften Akts; er ſchlug auf einer Erde, wo der
Tod graſet, keinen unphiloſophiſchen Laͤrmen daruͤber
auf, daß er die Blumen und die Saaten nicht maͤ¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/269>, abgerufen am 22.11.2024.
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